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Die „Jerusalemer Erklärung“ bemüht sich um den Freispruch der Israelfeindschaft vom Vorwurf des Antisemitismus.
Nun gibt es bereits seit 2016 eine Antisemitismus-Definition der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA), die 2017 neben zahllosen anderen Körperschaften auch der Deutsche Bundestag zu seiner Richtlinie erhob. Was also hat die oben genannten Akteure angetrieben, ein zweites Dokument zu erstellen? Diese Frage beantwortet Micha Brumlik, einer der Unterzeichner, bei Dlf Kultur so: „Jetzt ist klarer, dass BDS, also eine Organisation, die vom Deutschen Bundestag im Mai 2019 pauschal für antisemitisch erklärt wurde, dieses nicht ist.“
BDS bedeutet „Boycott, Divestment and Sanctions“. In der Tat hatte der Bundestag die BDS-Bewegung, die zu einem umfassenden Boykott Israels und aller Israelis aufruft, als „antisemitisch“ verurteilt und dafür gute Gründe angeführt. (…) Diese Abfuhr hat besonders die zahlreichen BDS-Anhänger an den Universitäten der USA und Großbritanniens empört, wo – anders als in Deutschland – die jeweils radikalste Version des Antizionismus zum angesagten Ton gehört. Sie forderten in mehreren internationalen Kampagnen den Bundestag auf, den BDS-Beschluss zu revidieren.
Die neue Jerusalem-Erklärung [Jerusalem Declaration on Antisemitism, JDA] leitet einen neuen Abschnitt dieser Kampagnen-Serie ein. Auch sie distanziert sich mit ihrer Behauptung, dass Boykott-Kampagnen „im Falle Israels … nicht per se antisemitisch“ seien, von der Entschließung des Bundestags.
Doch was ist mit der Formel „nicht per se antisemitisch“ eigentlich gemeint? Gibt es einen Unterschied zwischen „per se antisemitisch“ und „nicht per se antisemitisch – aber irgendwie doch“? Und worin soll der bestehen? All diese Fragen lässt die JDA-Erklärung bedauerlicherweise offen, obwohl der Kosher-Stempel „nicht per se antisemitisch“ in der Erklärung nicht nur einmal, sondern insgesamt neun Mal (!) gesetzt wird. Dies zeigt, dass die JDA nicht nur die BDS-Kampagne, sondern auch alle möglichen anderen antiisraelische Aktivitäten – pauschale Israelkritik, radikalen Anti-Zionismus, Apartheid-Vorwürfe etc. – vom Verdacht des Antisemitismus freizusprechen sucht. (…)
„Deren AutorInnen geht es nicht um eine Präzisierung der Antisemitismus-Definition der IHRA, sondern um die Freisprechung vom Antisemitismusverdacht, sofern es um Äußerungen oder Aktionen gegen Israel geht.“
Damit ist die Essenz der Jerusalem-Erklärung benannt. Deren AutorInnen geht es nicht um eine Präzisierung der Antisemitismus-Definition der IHRA, sondern um die Freisprechung vom Antisemitismusverdacht, sofern es um Äußerungen oder Aktionen gegen Israel geht. Sie wollen einen Freibrief für israelbezogenen Antisemitismus. Sie interessieren sich nicht für die Erkenntnisse, die in den letzten Jahrzehnten bei dessen Erforschung gemacht wurden, sondern wollen auf den Status quo ante zurück. (…)
Auch deshalb führen Meldungen wie die, dass die Jerusalem-Erklärung „von 200 internationalen Holocaustforschern“ und zwar „den renommiertesten“ verfasst worden sei, in die Irre. Abgesehen von Michael Wildt hat kein einziger der renommierten Holocaustforscher die Erklärung unterschrieben – weder Yehuda Bauer, noch Peter Longerich, weder Saul Friedländer noch Christopher R. Browning, weder Ulrich Herbert noch Deborah Lipstadt. (…)
[Die] Behauptung, mit der JDA „keine politische Parteinahme“ zu verfolgen, ist lächerlich und die Floskel, wonach die JDA „klar die fachliche Autorität wissenschaftlicher Expert:innen aus den relevanten Feldern wider(spiegelt)“, peinlich. Ihre Parteinahme erkennt man bereits an Formulierungen, die an Parolen aus den Uni-Hörsälen der Siebzigerjahre erinnern. (…)
(W)ann immer sich die JDA mit dem Nahostkonflikt befasst, dominiert unterschwellig die Palästina-Solidarität. So wird die palästinensische Seite mit „Forderungen nach Gerechtigkeit und der vollen Gewährung ihrer politischen, nationalen, bürgerlichen und menschlichen Rechte“ in Verbindung gebracht; über die Wirklichkeit der Antinormalisierungs-Kampagnen und der Vernichtungsdrohungen gegen Israel wird hinweggesehen. Demgegenüber sind sämtliche Hinweise auf Israel negativ konnotiert: Der Zionismus sei „eine Form von Nationalismus“, Israels „Verhalten im Westjordanland und im Gazastreifen“ kritikwürdig und die Beschwerde über eine „systematische rassistische Diskriminierung“ berechtigt.
(Auszug aus dem Kommentar „Aber irgendwie doch“, der auf Perlentaucher erschienen ist.)
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