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Erklärung von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland an alle jüdischen Gemeinden in Deutschland.
Foto: Zentralrat der Juden in Deutschland
Die Angriffe Russlands auf die Ukraine verfolgen wir mit tiefster Sorge. Für Menschen, die in den betroffenen Gebieten Angehörige oder Freunde haben, ist die Lage noch schwerer zu ertragen. Egal welche Sprache man beherrscht, den beunruhigenden Nachrichten auf allen Kanälen gehört spätestens seit dem frühen Morgen des 24. Februar 2022 unsere volle Aufmerksamkeit. Hoffnung auf Diplomatie und das baldige Ende des Krieges vereint heute alle vernünftigen Menschen.
In diesen Stunden denke ich an unsere Gemeinden in den frühen 1990er Jahren. Damals standen plötzlich buchstäblich Menschen mit Reisetaschen und vielen Hoffnungen auf ein besseres Leben in Deutschland vor der Tür der jüdischen Gemeinden. Diese Menschen kamen aus Ländern, die mit dem Ende der Sowjetunion soeben ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, vor allem aus der Russischen Föderation und der Ukraine. In ihren Reisepässen standen die Staatsangehörigkeiten der neu entstandenen Länder- in ihren Geburtsurkunden die jüdischen Namen ihren Eltern und das Geburtsland, die UdSSR, die 1991 zerfiel.
Gemeinsam haben wir seitdem im wiedervereinigten Deutschland einen langen Weg zurückgelegt. Es war kein leichter, aber ein außerordentlich guter und erfolgreicher Weg: Die jüdischen Gemeinden Deutschlands sind mehr als gewachsen. Sie haben ein neues Gesicht oder genauer: neue Gesichter bekommen. Ihre Gesichter sind nicht „die Russen", sondern das deutsche Judentum von heute! Dass Sie, aber auch Ihre (Enkel-)kinder, mit Ihrer alten Heimat verbunden sind, ist nachvollziehbar. Seit 2014, der „Maidan-Zeit" in der Ukraine, und bis zur Tragödie dieser Tage, gingen die politischen Auseinandersetzungen und Diskussionen durch unsere Familien. ,,Für wen bist du? Für Russland oder die Ukraine?"
Ich würde mich so freuen, wenn Sie und wir für „alle" wären. Doch ich weiß, dass das zurzeit schwierig bis unmöglich ist.
Es ist außerordentlich wichtig, dass wir als eine moderne, starke und plurale jüdische Gemeinschaft zusammenhalten. Wir müssen über politische Ansichten diskutieren und streiten können, aber immer respektvoll und ohne, dass der Konflikt einen Keil zwischen uns treibt. Das ist notwendig für uns und für die Zukunft des Judentums hierzulande.
Gemeinsam mit der ZWST sind wir in einem regen Austausch mit den jüdischen Gemeinden der Ukraine. Auch in unseren Gemeinden hören wir vielfach den Wunsch, dass jüdische Verwandte und Freunde im Hinblick auf die aktuelle Situation nach Deutschland auswandern wollen.
Grundsätzlich ist eine Einreise aus der Ukraine nach Deutschland ohne Visum für bis zu 90 Tage möglich. Hiervon können Ihre Verwandten und Freunde Gebrauch machen. Es besteht weiterhin ein geregeltes Zuwanderungsverfahren für Juden aus den GUS Staaten. Was passiert aber, wenn eine Jüdin bzw. ein Jude aus der Ukraine einreist und hierzulande bleiben will, ohne vorher das jüdische Zuwanderungsverfahren vor Ort absolviert hat?
Wir sind derzeit mit der Bundesregierung im intensiven Austausch, wie für die jetzt nach Deutschland kommenden Juden aus der Ukraine das jüdische Zuwanderungsverfahren auch nach ihrer Einreise fortgesetzt oder eingeleitet werden kann. Wir setzen uns als Zentralrat der Juden in Deutschland für Ihre und auch für die Interessen Ihrer Verwandten und Freunde ein und werden Sie sobald wie möglich über die konkreten Absprachen und Optionen informieren.
Darüber hinaus arbeiten die EU-Innenminister zur Stunde daran, dass ukrainische Kriegsflüchtlinge ohne Asylverfahren einen vorübergehenden Schutz in der EU für bis zu drei Jahre erhalten können. Dies gilt natürlich auch für Juden aus der Ukraine.
Wir fühlen mit Ihnen und mit Ihren Familien.
Wir beten für den Frieden und wir werden auch diese Zeit überstehen, so wie wir als jüdische Gemeinschaft schon andere Krisen gemeinsam gemeistert haben.
Ihr
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland
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