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Gedanken zu Rosch Haschana

Von Dr. Herbert Winter, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (SIG)

Dr. Herbert Winter Präsident der SIG

„Wenn ich nicht für mich bin, wer ist dann für mich?

Solange ich aber nur für mich bin, was bin ich?

Und wenn nicht jetzt, wann sonst?“

 

Hillel, Sprüche der Väter, 1.14

 

Dass in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen in Nahost antisemitische Vorkommnisse bei uns zunehmen, kennen wir zwar. Doch diesmal war die Situation gravierender. Die Tonlage war hemmungsloser geworden: Wir erhielten Briefe, in denen bedauert wird, dass „Hitler nicht alle Juden vergast“ hat. Auf Facebook lasen wir Kommentare wie „nur ein toter Jude ist ein guter Jude“, die erst noch viele Likes erhielten. Auch zu Beschimpfungen, Gewaltandrohungen, ja sogar vereinzelt zu Tätlichkeiten ist es gekommen. Nicht wenige unter uns waren um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder besorgt.

 

Von einem sich in der Öffentlichkeit immer hemmungsloser gebärdenden Antisemitismus haben wir aus einigen Ländern Europas gehört, nicht zuletzt auch aus Deutschland. Aber so etwas bei uns in der so friedlichen Schweiz? Das ist doch nicht möglich, dachten sich viele und waren umso bestürzter über das, was bei uns abging. Am Gemeindetag des Zentralrats der Juden in Deutschland im letzten November habe ich noch von der Schweiz als einer scheinbaren „Insel der Glückseligen“ gesprochen, gleichzeitig aber warnend darauf hingewiesen, dass dies nur auf das gegen Außen Sichtbare zutrifft, dass aber das, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, möglicherweise nicht anders ist als in andern Ländern. Die letzten paar Wochen haben dies schmerzlich bestätigt. Zum Glück sind viele Bürger ebenso entsetzt wie wir. Für die uns von vielen Menschen in unserem Land gezeigte Solidarität sind wir dankbar. Sie tut gut.

 

Aber es geht nicht nur um uns Juden: Solche Tendenzen schaden unserer ganzen Gesellschaft, sie vergiften das Klima und bedrohen das friedliche Zusammenleben. Es ist wichtig, dass auch die Behörden, die Kirchen und die Zivilgesellschaft ein klares Zeichen setzen und Maßnahmen ergreifen, um den neu entflammten und deutlich sichtbar gewordenen Antisemitismus im Keim zu ersticken.

 

Angesichts dieser Erfahrungen und gerade im Hinblick auf Rosch Haschana kommen mir die im Titel zitierten Fragen Hillels in den Sinn.

 

Seien wir selbstbewusste Juden und setzen uns laut und deutlich für unsere Rechte ein. Nur so werden wir die Anerkennung und den Respekt unserer Umwelt haben. Es genügt indes nicht, dass wir uns nur um uns sorgen und von den Mitmenschen Respekt uns gegenüber einfordern. Genauso müssen wir Anerkennung und Respekt anderen Gesellschaftsgruppen gegenüber zeigen und uns für deren Rechte einsetzen. Nur so sind wir glaubenswürdig!

 

Worauf warten wir? Beginnen wir an Rosch Haschana damit!

 

In diesem Sinne wünsche ich von Herzen Chasak Weematz und Schana Towa U’Metuka.

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