Auf der Suche nach Mördern und ihren Helfern

25.000,- Euro Belohnung verspricht das Simon-Wiesenthal Center demjenigen, der NS-Verbrechen aufspürt. Eine Plakataktion in Berlin, Köln und Hamburg fordert die Bevölkerung auf, mitzuhelfen, dass die noch lebenden Männer und Frauen eine gerechte Strafe erhalten. „Millionen Unschuldige wurden von Nazi-Kriegsverbrechern ermordet. Einige der Täter sind noch frei und am Leben. Helfen Sie uns, diese vor Gericht zu bringen“, steht auf dem Plakat. Ein Foto des Eingangstores von Auschwitz-Birkenau und Bahngleise, die direkt in das Vernichtstungslager führen, verdeutlichen die Aktion „Operation Last Chance“ noch zusätzlich. Es ist „Spät, aber nicht zu spät“.

Simon Wiesenthal-Center
Foto: Margrit Schmidt

Über 40 Anrufe und viele E-Mails erreichten die Mitarbeiter des Simon-Wiesenthal-Centers und den Initiator Ephraim Zuroff. 13 Anrufe gaben bereits wertvolle Hinweise zu sechs alten Nazi-Verbrechern. Im Jahr 2002 wurde bereits eine ähnliche Kampagne in Deutschland, Österreich und Osteuropa gestartet. Damals erhielt das Simon-Wiesenthal-Center 605 Hinweise. Nach eingehender Überprüfung wurden 103 Namen den deutschen Justizbehörden übergeben, die weiter forschten und dann acht Fälle der Staatsanwaltschaft übergaben.

 

Große Aufmerksamkeit erhielt der Münchner Prozess gegen den ukrainischen SS-Wachmann John Demjanjuk, der zur Hilfstruppe der SS gehörte und unter anderem im KZ Majdanek und 1943 als Aufseher im Vernichtungslager Sobibor tätig war. Im Jahr 2011 wurde er wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 29.000 Fällen vor Gericht gestellt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, die er jedoch nie antrat. Die Verteidigung wie die Staatsanwaltschaft hatten Revision beantragt. Demjanjuk verstarb während dieser Zeit. Schon damals zeigten einige, vor allem nichtjüdische Beobachter, Unverständnis über den Prozess und die Verurteilung des 91-jährigen kranken Mannes. Die damalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, versuchte zu erklären und verwies auf den hohen symbolischen Stellenwert des Prozesses: „Gerade für Überlebende der Shoa ist es unerträglich, mit ansehen zu müssen, wie mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher, die keine Gnade für ihre Opfer kannten, Mitleid für sich einfordern“. Dieser Prozess und die Verurteilung machte dem Simon-Wiesenthal-Center Mut, erneut in die Offensive zu gehen. Ephraim Zuroff schätzt, dass von den ehemaligen rund 6.000 Hilfskräften der SS, die willig bei der Ausübung von Verbrechen halfen und auch selber Menschen quälten und ermordeten, noch ungefähr 120 am Leben sind, von denen etwa 60 durchaus noch vor Gericht gestellt werden könnten. Diese aufzufinden soll nun auch der Plakataufruf mithelfen.

 

Eine „Kopfgeld“-Prämie nennt der jüdische Militärhistoriker Prof. Michael Wolffsohn die Aktion und verweist auf deren hohes Alter. Er befürchtet eine Welle des Mitleids und Mitgefühls der deutschen Bevölkerung mit den Verbrechern. Doch geht es um Gerechtigkeit. In den Konzentrationslagern wurde von eben diesen, jetzt alten, Männern, damals auch der 95-jährige Großvater und die 80-jährige Großmutter erbarmungslos ins Gas geschickt oder zu Tode geprügelt. Verbrecher und ihre Helfershelfer, die in jungen Jahren viel Energie für die Ermordung unschuldiger Männer, Frauen und Kinder einsetzten, verdienen kein Mitleid. Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen keine Verfallszeit haben. Viel zu lange hat die deutsche Justiz bereits in der Vergangenheit weggeschaut. Das gilt auch für andere Länder. László Csatáry, ein ungarischer NS-Kriegsverbrecher, der als Polizeichef im Ghetto von Košice Deportationen von 15.700 Juden nach Auschwitz organisierte und an der Ermordung von 300 Juden in der Ukraine mit beteiligt war, wurde zum Beispiel zwar nach dem Krieg zum Tode verurteilt, konnte jedoch entkommen. Das Wiesenthal-Center hatte ihn im vergangenen Jahr in Budapest aufgespürt, wo er ungehindert und ohne Reue lebte. Erst als Victor Orban seinen Staatsbesuch nach Israel antrat und die britische SUN über das Leben des 98-Jährigen in Ungarn berichtete, hatte der offene Brief, den Ephraim Zuroff an den ungarischen Ministerpräsidenten geschrieben hatte, Erfolg. Csatáry wurde von der Budapester Staatsanwaltschaft wegen seiner Kriegsverbrechen angeklagt. Im Juni 2013 sollte der Prozess beginnen, doch László Csatáry starb kurz davor. Trotzdem war der geplante Prozess ein Erfolg. Einerseits weil es schon längst an der Zeit ist, dass die demokratischen Länder endlich ihre Akten über die NS-Zeit offen legen. Andererseits, so betonte der neue Präsident von MAZSIHISZ András Heisler, „werden nicht nur die Opfer in Frieden ruhen, sondern die Welt wird zu einem sicheren Ort werden“, wenn die Verbrecher auch noch im hohen Alter zur Rechenschaft für ihre Taten gezogen werden. Mord verjährt nicht.

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