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Viele große jüdische Mäzene werden erst jetzt wiederentdeckt. Einer der wichtigsten Förderer der Berliner Museen war James Simon. Ohne seine großzügigsten Schenkungen wäre die deutsche Hauptstadt um viele kulturelle Höhepunkte ärmer. Die Nofretete, das Ischtar Tor oder die Prozessionsstraße von Babylon zum Beispiel verdankt die Museumsinsel ihm.
Was macht ein Archäologe, der kein Geld für eine Ausgrabung hat, aber weiß, dass er eine großartige Entdeckung gemacht hat? Robert Koldeway wandte sich an den schwerreichen Berliner Textilunternehmer James Simon, der Unsummen für Kunst und Kultur ausgab und dessen Sammelleidenschaft unbegrenzt zu sein schien. Koldeways Vermutung das alte Babylon gefunden zu haben, faszinierte den jüdischen Mäzen. Anfangs finanzierte James Simon aus seinem Privatvermögen die Probegrabungen, doch schon bald bemerkte er die riesige umfangreiche Größe dieses Projektes, das er allein nicht stemmen konnte. So kam er auf die Idee die „Deutsche Orient Gesellschaft“ zu gründen. James Simon gelang es mehrere vermögende Gleichgesinnten zu begeistern. Unter ihnen waren viele jüdische Unternehmer wie der Bankier Franz von Mendelssohn und andere kunstinteressierte jüdische Männer und Frauen.
1898, als in Berlin unter dem Gründervater James Simon die Deutsche Orient Gesellschaft entstand, empfanden sich die vielen jüdischen Mitglieder und Mäzene als deutsche Patrioten und wähnten sich von der nichtjüdischen Gesellschaft gleichberechtigt und anerkannt zu sein. Mit ihrem ideellen sowie materiellen Engagement hoffte die liberale, wirtschaftlich aufgestiegene jüdische Oberschicht einen wichtigen Beitrag für die internationale Anerkennung Deutschlands als Kulturnation, das für sie ihre Heimat war, zu leisten. Drei Jahre nach der Gründung, im Jahr 1903, lernte Simon Kaiser Wilhelm II. persönlich kennen. Er war von dem Engagement des jüdischen Mäzens dermaßen begeistert, dass er der Deutschen Orient Gesellschaft beitrat und sogar ihr Schirmherr wurde. Das hatte eine Sogwirkung auch auf viele nichtjüdische Unternehmer und Wissenschaftler. Schon bald zählte die Gesellschaft über 1.000 Mitglieder, von denen viele sehr zahlungskräftig waren. Kaiser Wilhelm II. rückte den Vorderen Orient in das wirtschaftliche Interesse des Deutschen Reiches, er träumte davon Berlin Weltgeltung auf dem politischen Parkett zu verschaffen und London und Paris die Stirn zu bieten. In James Simon sah er einen Verbündeten, doch für den jüdischen Mäzen war Kunst und Kultur kein Ausdruck imperialer Größe. Sein Ziel war lediglich Berlin zu kulturellem Glanz zu verhelfen. Und das gelang ihm. Ohne seinen unermüdlichen Einsatz würde es heute in Berlin höchstwahrscheinlich nicht die Museumsinsel mit ihren reichen Kulturschätzen geben. Seit 1930 kann man im Berliner Vorderasiatischen Museum einen Teil der weltberühmten „Prozessionsstraße“ und das „Ischtar Tor“ aus dem antiken Babylon bewundern, die einst zu den sieben Weltwundern der Antike gehörten und dessen Ausgrabung die Deutsche Orient Gesellschaft ermöglichte.
Die Engländer haben gestohlen, die Deutschen haben gekauft
Heute pilgern Massen von Touristen und Kunstinteressierten zur Museumsinsel. Das „Ischtar Tor“ aus Babylon ist ein Besuchermagnet, das die Kasse des Museums füllt. Das weckt Begehrlichkeiten. Bereits in den 70er und späten 80er Jahren stellte die Regierung des Iraks den Anspruch, die ausgestellten Exponate dem irakischen Staat zu übereignen. Doch der damalige Museumsdirektor konnte anhand vorhandener Akten nachweisen, dass der Erwerb rechtmäßig war. Während die Engländer und Franzosen ihre Kunstwerke teilweise illegal erwarben, hatten die Deutschen die Objekte von der Osmanischen Altertümerverwaltung sowie dem seit 1921 bestehende Königreich Irak gekauft und schriftlich die offizielle Ausfuhrgenehmigung nach Berlin erhalten. Rückgabegesuche stellt auch Ägypten für mehrere Exponate aus der Pharaonenzeit. Darunter fällt auch die weltbekannte Büste der Nofretete, die James Simon persönlich gehörte. Er hatte die Ausgrabung bezahlt, deren Exponate nach dem damals geltenden Recht teilweise der ägyptische Staat und teilweise der Finanzier erhielten. James Simon wurde unter anderem die Büste der Nofretete zugesprochen, das Ägyptische Museum in Kairo entschied sich für ein Bild, das Echnaton und Nofretete mit drei ihrer Kinder zeigt, ebenfalls ein Highlight.
James Simon schenkte Nofretete dem Berliner Museum
James Simon hatte anfangs die vielen wunderschönen Gegenstände und Kunstwerke aus dem Alten Ägypten in seiner Villa in der Berliner Tiergartenstraße untergebracht. Doch 1920 schenkte er sie dem Berliner Kulturinstitut. Als die Nofretete dann zum ersten mal in dem Neuen Museum auf der Museumsinsel ausgestellt wurde, war das ein großer Erfolg. Tausende Interessierte, Wissenschaftler und Touristen reisten in die Hauptstadt, um sich die Exponate anzuschauen. Bis heute zählen das Ischtar Tor, die babylonische Prozessionsstraße und die Nofretete zu den absoluten Glanzstücken der Berliner Museumslandschaften.
In der NS-Zeit verfolgt und ermordet
Ohne das Engagement des jüdischen Mäzens James Simon und seiner jüdischen Partner würden diese Kulturschätze heute nicht in Berlin ausgestellt werden können. Und wie dankte das Land ihnen? Ihr Engagement schützte sie in der NS-Zeit nicht vor der Deportation und der Ermordung. Hedwig Sara Brühl wurde nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz verschleppt und vergast. Die international bekannte 80-jährige Ägyptologin Hedwig Fechtheimer Simon nahm sich gemeinsam mit ihrer Schwester aus Furcht vor der drohenden Deportation das Leben. Der wohlhabende Bankierssohn Bruno Güterbock war mit seiner Familie zwar zum Christentum konvertiert, das half ihm letztendlich jedoch wenig. 1938 wurde der ehemalige Schatzmeister der Deutschen Orient-Gesellschaft, wie alle anderen jüdischen Mitglieder von den neuen nationalsozialistischen Machthabern aus der Gesellschaft hinausgeworfen. Gedemütigt und verfolgt verstarb der international anerkannte Privatgelehrte 1940 in Berlin. Wer von den vielen Mitgliedern jüdisch war und nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde ohne Ausnahme deportiert und ermordet. Ihre Namen sollten vergessen werden.
Die Sammlung wurde umfassend propagiert – der Spender jedoch vergessen
James Simon verstarb bereits 1932, verbittert, allein gelassen und ausgegrenzt. Ein Drittel seines Millionenvermögens hatte er in seine Kunstsammlung gesteckt, die er nach und nach den Berliner Museen vermachte. Sein großes Vermögen verdiente sich Simon im Textilhandel. 1883 lernte er den Leiter der Skulpturensammlung Wilhelm von Bode kennen. Als Inhaber eines europaweiten Baumwollhandels, der 1920 zur Berliner Firma „Simon Vereinigte Textilwerke AG“ erweitert wurde, beriet Bode ihn in seiner Sammelleidenschaft. Nicht ganz uneigennützig, Bode hoffte auf großzügige Schenkungen für sein Haus – mehrere Gemälde bekannter niederländischer, deutscher und spanischer Maler, antike Statuen sowie Werke aus der Renaissance von Bellini, Mantegna, Andrea della Robbia, historische Möbel, Münzen und mittelalterliche Wandteppiche die James Simon ebenfalls besaß. Und Simon spendete tatsächlich viele wertvolle Exponate.
Im Oktober 1904 wurde das „Kaiser-Friedrich-Museum“ auf der Spreeinsel eröffnet, das heutige, nach dem Gründungsdirektor benannte „Bode-Museum“. Von Anfang an war es auch Inbegriff eines bürgerlichen Mäzenatentums. James Simon hatte die meisten Ausstellungsstücke gespendet, rund tausend Kunstwerke. Simon stellte nur eine einzige Bedingung, nämlich dass die Sammlung als Ganzes ausgestellt werden solle. Ihm zu Ehren gestaltete Direktor von Bode einen Raum mit vielen Werken der Renaissance so aus, wie sie in James Simons Wohnung platziert worden waren. Nachdem Wilhelm von Bode am 1. März 1929 in Berlin starb, beschränkten seine Nachfolger immer mehr den Einfluss des Kunstmäzens. Der nationalsozialistische Rassenhass begann sich auch im Museumswesen auszubreiten. Bei der Eröffnung des Pergamonmuseums war James Simon bereits nicht mehr anwesend. 1939 wurde das Kabinett aufgelöst, sämtliche Hinweisschilder auf jüdische Stiftungen wurden entfernt, James Simon geriet in Vergessenheit.
Staatliche Museen zu Berlin erinnern heute wieder an den großen Mäzen
Erst 60 Jahre später begannen sich die Staatlichen Museen zu Berlin an den großen Mäzen zu erinnern, durch den etwa 10.000 Objekte in ihren musealen Bestand gelangt waren. Im Juli 2019 wurde im wieder eingerichteten „James-Simon-Kabinett“ im Bode-Museum ein Museumsraum so rekonstruiert wie er ursprünglich bei der Eröffnung 1904 aussah. Hinweistafeln würdigen seine großzügigen Schenkungen. Und das neu errichtete zentrale Eingangsgebäude und Besucherzentrum der Museumsinsel Berlin erhielt den Namen „James-Simon-Galerie“. Erbaut wurde es von dem britischen Stararchitekten David Chipperfield, mit einer großen Freitreppe und Kolonnaden im Innern, sowie offene Sichtachsen nach außen, die von der Idee heutiger Museen als transparente Musentempel zum Betreten einladen. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und nicht die Kulturstaatsministerin die Eröffnungsrede hielt, unterstreicht die Bedeutung der Sammlung für die heutige Bundesrepublik, aber auch die Anerkennung des jüdischen Mäzenatentums.
James Simon soziales Engagement
James Simons Engagement galt jedoch nicht nur dem Aufbau Berlins zur kulturellen Metropole. Auch für soziale Belange spendete er reichlich. An der Ostsee errichtete er ein Ferienheim für 600 Kinder aus ärmeren Verhältnissen. Vaterlosen Mädchen bot der von ihm unterstützte „Mädchenhort“ Verpflegung und Unterkunft, auch unterstützte er den Bau von Krankenhäusern. Kinder-und Waisenheimen. Die erste öffentliche Volksbadeanstalt in Berlin wurde auf sein Betreiben gebaut. Seit 2012 trägt das „Stadtbad“ in Berlin-Mitte als Erinnerung an sein Engagement seinen Namen. Rund 200.000 Mark gab er für soziale Zwecke der Allgemeinheit.
Chaim Weizmann nannte ihn einen „Kaiserjuden“
James Simon gehörte, wie der Generaldirektor der „HAPAG“ Albert Ballin, Kohleunternehmer Eduard Arnold, Bankier Carl Fürstenberg und der geadelte Paul von Schwabach vom Bankhaus S. Bleichröder zu einer auserlesenen jüdischen Gruppe von Beratern, die Chaim Weizmann als „Kaiserjuden“ betitelte, die wenig von der zionistische Idee hielten und diese auch nicht unterstützen. Am Ende seines Lebens war James Simon, dessen Gemeinsinn so viel für die deutsche Kultur- und Museumslandschaft geleistet hatte, ein von der deutschen Gesellschaft enttäuschter Mann. Lange Zeit wurde er vergessen. Erst jetzt erinnert man sich wieder an ihn und sein Mäzenatentum. Seit 2006 ehrt eine in Berlin gegründete „James-Simon-Stiftung“ alle zwei Jahre mit dem „James-Simon-Preis“, für herausragende Leistungen wie es in der Satzung heißt, in Gedenken an ihn für heutiges „vorbildliches, soziales und kulturelles Engagement in Deutschland.“
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