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Über eine Million Juden wurden zwischen 1941 und 1944 allein in der Ukraine
während des zweiten Weltkrieges von der deutschen Besatzung ermordet, die meisten von ihnen erschossen und in Massengräbern verscharrt. Nur wenige Gedenkstätten erinnern an die entsetzlichen
Verbrechen.
Selbst der Massenmord an 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder in Babi Jar blieb der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, obwohl bereits im Nürnberger Prozess Dokumente darüber vorgetragen wurden. Stalin, der während des Krieges eine Kampagne gegen die sowjetischen Juden begonnen hatte, wollte nicht, dass bekannt werde, dass die Nationalsozialisten insbesondere Juden systematisch ermordet hatten. Erst in den 90er Jahren wurde eine Gedenkstätte errichtet. Lange Zeit blieb es die einzige Erinnerungsstätte an die jüdischen Opfer in der Ukraine.
Erst vor etwa vier Jahren begann man in der Ukraine diese Seite der Geschichte konsequenter aufzuarbeiten. Einen Teil des Projektes – Gedenkstätten in der Nähe von Lemberg – hatte Deidre Berger, die Berliner Direktorin des American Jewish Comitees mit finanzieller Hilfe der Bundesregierung initiiert. Dennoch ist dieses dunkle Kapitel den meisten Menschen unbekannt und droht in Vergessenheit zu geraten. Von den etwa 1.500 Stätten in der Ukraine, wo Juden und Roma ermordet wurden, sind noch rund tausend ohne besondere Kennzeichnung. Teilweise wurden auf diesen Flächen im Laufe der Zeit Bauten errichtet oder Landwirte beackern die Felder als sei dort nichts gewesen. Andere Gräberfelder sind inzwischen verwildert und voller Gestrüpp. Kein Hinweis, keine Tafel, nichts weist auf die in der NS-Zeit hier verübten Gräueltaten hin, für die der Franzose P. Desbois, der über tausend Massengräber in der Ukraine lokalisierte, den Fachbegriff „Holocaust durch Kugeln“ prägte. Damit diese Ereignisse keine leeren Flecken in der Geschichtsschreibung bleiben und die Taten aber auch die Opfer der Vergessenheit entrissen werden, haben sich verschiedene Träger und Unterstützer zusammengetan, um die Erinnerung daran zu bewahren. Gemeinsam mit dem „Ukrainischen Zentrum für Holocaust-Studien“ und den Verantwortlichen vor Ort konnte die Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ so 15 würdige Gedenk- und Informationsstätten in der Ukraine aufbauen und gestalten. „Das wäre ohne Ihren großen Einsatz schlicht nicht möglich gewesen“, lobte Bundesaußenminister Heiko Maas die Initiative anlässlich einer Ausstellung im Auswärtigen Amt, das wesentliche Mittel zur Finanzierung bereit stellte. Auf mehreren Tafeln wird die Geschichte der Vernichtung des größten Teils der Juden und Roma in der Ukraine dargestellt, mit Fotos und Aussagen von Zeitzeugen sowie Landkarten, auf denen Orte des Verbrechens, des Massenmordes, gekennzeichnet sind. Nicht immer weiß man genau, wo nach den Massenerschießungen die bis zu 2.000 Leichen verscharrt wurden. Mit schwarzen Punkten, Kugeln ähnlich, wird in der Ausstellung auf Orte hingewiesen, in denen Historiker Erschießungen von mehr als 500 Juden nachweisen konnten. „Die Karte der Ukraine – sie ist übersät mit schwarzen Punkten“, betonte Bundesaußenminister Maas bei der Eröffnung.
„Den Mund aufmachen! Antisemiten sind nur eine Minderheit“
Die Bundesrepublik Deutschland steht zu ihrer Geschichte und unterstützt das Projekt „Erinnerung bewahren – Schutz und Sichtbarmachung von Massengräbern des Holocaust in der Ukraine“. „Auf Dorfplätzen, in Waldstücken, in Straßen- und Schützengräben ermordeten die Wehrmacht, die SS, deutsche Polizeieinheiten und ihre Helfershelfer mehr als eine Million Juden, mindestens 12.000 Roma, zahllose sowjetische Kriegsgefangene und Menschen mit psychischen oder physischen Einschränkungen“, erinnerte Bundesaußenminister Heiko Maas. Nur wenige Tage war die Wanderausstellung im Lichthof des Auswärtigen Amtes zu sehen. Dennoch hoffen alle, dass sich weitere Multiplikatoren dafür interessieren und sie noch in vielen anderen Orten in Deutschland und in der Welt gezeigt werden kann. „Ausstellungen wie diese“, betont Heiko Maas, sind „so wichtig – gerade weil die Zeitzeugen leider immer weniger werden“. Und ganz aktuell sind sie nötig „in Zeiten, in denen auch gewählte Volksvertreter ganz unverhohlen unsere Erinnerungskultur angreifen und das Unvergessliche vergessen machen wollen. In denen antisemitische Straftaten auf deutschen Straßen zunehmen – denken wir nur an die jüngsten Angriffe auf Rabbiner in München und hier in Berlin.“ Ausstellungen wie diese sind wichtig in Zeiten, „in denen im Internet Hass, Lügen und Hetze gegen Jüdinnen und Juden und andere Minderheiten immer erschreckendere Formen annehmen. Und damit auch den Boden bereiten für tätliche Gewalt“. An uns alle appellierte Bundesminister Maas „offen einzutreten für Respekt, Toleranz und Zusammenhalt“. Und „den Mund aufmachen! Denn die Antisemiten und Rassisten sind nur eine Minderheit in unserem Land. Aber sie sind laut. Und das hängt auch damit zusammen, dass die Mehrheit oft zu leise ist!“
Ereignisse in der Ukraine soll Teil des Geschichtsunterrichts werden
Aufgrund seiner Geschichte sieht sich Deutschland in besonderer Weise verpflichtet, allen antisemitischen Tendenzen im Ansatz entgegen zu treten und unterstützt deshalb auch Projekte im Ausland, wie diese Ausstellung zeigt, die nachhaltig bis in die ukrainische Zivilgesellschaft hineinwirkt. Juden sind „ein untrennbarer Teil der Geschichte meiner Heimat, ein fester Bestandteil unserer DNA, denn die Juden sind aus dem gesellschaftlichen Leben in der Ukraine nicht wegzudenken“, betonte der Botschafter der Ukraine Dr. Andrii Melnyk in seiner Rede anlässlich der Ausstellung. „Die meisten der ermordeten Juden lebten damals in der Ukraine“, erinnerte er, „genau 2.994.684 Personen. Viel mehr als in jedem anderen Land.“ Die „systematisch betriebene totale Ausmerzung, das unermessliche Leid, das durch den Holocaust den Juden zugefügt wurde, betraf fast jede ukrainische Familie“.
Heute ist die Ukraine nach Israel das weltweit einzige Land in dem sowohl der Präsident als auch der vorige Premierminister Juden sind. „Was wir Ukrainer heute wollen, ist, dass nicht nur ein paar Historiker, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft, deutsche Öffentlichkeit, aber vor allem deutsche Jugend dieser kaum bekannten Seiten der Geschichte bewusster wäre“. Sein Sohn, erzählte der Botschafter, besuchte drei Jahre ein Berliner Gymnasium. Im Geschichtsunterricht wurde das Dritte Reich und auch der Zweite Weltkrieg sehr genau analysiert. Enttäuscht und ratlos war jedoch sein Sohn darüber, „dass in diesem Zusammenhang die Ukraine fast gar nicht vorkommt“, klagte Botschafter Dr. Andrij Melnyk und appellierte an die Kultusministerkonferenz, dass im Unterricht auch über die Ereignisse in der Ukraine während der deutschen Besatzung gesprochen und in den Schulbüchern „gebührend thematisiert“ werden. Eine Forderung, die auch von deutscher Seite bereits mehrfach erhoben wurde. Helfen doch detaillierte Geschichtskenntnisse wirksamer Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und antisemitischen und rassistischen Tendenzen fundierter entgegen zu treten.
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