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VON TASCHKENT NACH DEUTSCHLAND

EINE INTEGRATIONSGESCHICHTE

  • Oberkommissar Jewgenij Wassermann.

  • Polizeivizepräsident Dr. Walter Seubert.

Als Jewgenij Wassermann nach Dessau kam, war er 13 Jahre alt. Mehrfach musste seine Familie vor Pogromen flüchten oder wurde verjagt, ein typisch jüdisches Schicksal. Die Urgroßeltern lebten einst, wie der Name verrät, in Deutschland. Von dort vertrieben, wanderten sie nach Polen. Als dann Anfang des 19. Jahrhunderts in Polen die Stimmung kippte, antisemitische Stimmen immer lauter wurden, beschlossen einige Mitglieder der Familie auszuwandern. „Mein Ururgroßvater wollte 1912 mit der Titanic in die USA einwandern“ erzählt Enkel Jewgenij, und freut sich, dass es dann doch nicht geklappt hat. Stattdessen nutzte der Großvater das Angebot der Sowjet­union und zog in den 30er Jahren mit der gesamten Familie nach Usbekistan, wo er beim Bau eines gewaltigen Staudamms Arbeit fand. In Taschkent wird Jewgenij Wassermanns Vater geboren, der, wie es bereits Familientradition ist, Mediziner wird. Während des Studiums in Moskau lernen sich die Eltern kennen und hier wird auch der kleine Jewgenij geboren. Das war 1983.

 

Die Tante bleibt mit ihrer Familie in Moskau, die Eltern fahren nach dem Studium zurück nach Taschkent, dort arbeiten beide als Ärzte. Gesprochen wird in der Familie Russisch. Sie sind auch keine Sepharden, wie die meisten orientalischen Juden, sondern bleiben dem aschkenasischen Ritus treu. Allerdings gehen die Wassermanns, wie die Mehrheit der Juden in der damaligen Sowjetunion, nur selten in die Synagoge. Hier, in der Hauptstadt der zentralasiatischen Teilrepublik des sowjetischen Großreiches wachsen die Kinder Jewgenij Wassermann und seine fünf Jahre jüngere Schwester Tamara in Geborgenheit auf. Das ändert sich abrupt, als das sozialistische Großreich auseinanderbricht. Usbekistan wird ein eigener souveräner Staat. Die Mehrzahl der Einwohner wenden sich erneut dem Islam zu. Hautnah erlebt das Land nun die Auswirkung des Krieges im benachbarten Afghanistan, aus dem muslimische Flüchtlinge, unter ihnen viele Usbeken, ins neutrale Usbekistan strömen. Die Stimmung kippt. Juden sind plötzlich unerwünscht, wieder einmal.

 

Von Dessau nach Frankfurt

Familie Wassermann fürchtet Pogrome und flieht nach Deutschland. In Dessau geht Jewgenij Wassermann weiter zur Schule. Hier machte er sein Abitur und hier fühlt er sich wohl. Als in der Schule für den gehobenen Polizeidienst geworben wurde, beschloss der durchtrainierte junge Mann, der inzwischen ein akzentfreies Deutsch spricht, sich bei der Polizeihochschule zu bewerben. Er hat nicht nur einen deutschen Pass, er fühlt sich auch als Deutscher, auch wenn er sich mit seiner Familie vorwiegend in Russisch unterhält. In Deutschland lernte er seine jüdische Ehefrau kennen, die mit ihren Eltern hier ebenfalls eine sichere Zuflucht fand. Mittlerweile lebt das Ehepaar in der Nähe von Offenbach.

 

Jewgenij Wassermann – Jude und Polizist

Heute ist Jewgenij Wassermann Oberkommissar beim Überfallkommando in Frankfurt am Main. Tagtäglich setzt er sich mit seiner sechsköpfigen Mannschaft als Gesetzeshüter für die Gesellschaft ein. „Wir sehen uns als eine Art Feuerwehr“, sagt er, „wir haben es mit Straftätern aller Art zu tun, wir werden gerufen, wenn die Sicherheitsanlagen der Museen und der vielen Banken Alarm schlagen oder Razzien wie zum Beispiel in Spielhallen nötig sind“. Aber auch Präventivmaßnahmen zur Verbrechensbekämpfung gehören zu seinem Arbeitsgebiet. Frankfurt ist eine Stadt an einem europäischen Verkehrsknotenpunkt. Hier befindet sich nicht nur ein internationaler Flughafen, hier kreuzen sich auch zahlreiche Eisenbahnen, die aus und nach West- wie Osteuropa fahren sowie mehrere Autobahnen und Fernstraßen. Aus etwa 170 Ländern stammen die Menschen, die hier ständig oder nur zeitweise leben. Unterschiedlichste Kulturen prallen in dieser Metropole aufeinander. „Für die Polizeiarbeit ergeben sich daraus vielfältige Aufgaben“ betont Oberkommissar Wassermann. Spanisch-, polnisch-, persisch-, arabisch- oder eben russischsprechende Kollegen mit Integrationshintergrund werden oft als Multiplikatoren eingesetzt, sie verstehen nicht nur die Sprache, sondern auch die Besonderheiten der anderen Kulturen, ihre Denk- und Lebensweisen. Auch Jewgenij Wassermann engagiert sich bei Seminaren über interkulturelle Kompetenz und betont, wie wichtig es sei, vor allem Neueinwanderer mit den demokratischen Grundsätzen bekannt zu machen. „Durch solche Maßnahmen“, freut sich Polizeivizepräsident Dr. Walter Seubert, „wurde viel Vertrauen in die Polizei und in unsere freiheitliche demokratische Grundordnung geschaffen, insgesamt konnten wir ein Mehr an Sicherheit erreichen“. „Wir sind Partner und können vielfältige Hilfe stellen“, so Seubert, der dabei auf den Erfolg einer von Polizeipräsident Gerhard Bereswill ins Leben gerufenen Initiative hinweist und auf deren „unmittelbare Auswirkung auf das positive Sicherheitsgefühl der Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Region“. „Migration trifft Prävention“ heißt diese Veranstaltung. „Das Land macht viel auf lokaler Ebene“ erzählt der Oberkommissar, der nicht nur in Schulen, sondern gemeinsam mit seinen Kollegen auch in verschiedenen Moscheen Vorträge hält. „Ich erzähle dann von meinem Integrationshintergrund und meiner Geschichte. Bisher bekam ich immer ein positives Feedback.“ Intensiv ist auch die Zusammenarbeit der Frankfurter Polizei mit der Stadt und den Flüchtlingsheimen. „Gerade durch unsere vertrauensbildenden Maßnahmen in Flüchtlingsunterkünften konnten wir viele Flüchtlinge positiv erreichen. Frankfurt ist zudem durch seine Offenheit und Toleranz geprägt, weswegen bislang in Frankfurt kein Ghetto entstand und auch keine Flüchtlingsunterkünfte angezündet wurden“, sagt Polizeivizepräsident Seubert. Rund 5.000 zugewiesene Flüchtlinge, darunter viele aus Syrien, leben gegenwärtig an mehr als 150 Standorten in der Mainmetropole. Interkulturelle Zusammenhänge erkennen und Präventionsmaßnahmen einzuleiten bedeutet viel Arbeit für die Beamten und unermüdlichen Einsatz.

 

„Ich bin ein deutscher Polizist“, so Oberkommissar Wassermann, der Mitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ist. An den Hohen Feiertagen wie auch zu Pessach oder Chanukka sieht man ihn und seine Frau jedoch nicht in der Frankfurter Synagoge. „Wir fahren dann jedes mal nach Dessau, wo meine Eltern leben.“ Der Vater Dr. Alexander Wassermann leitet die dortige jüdische Gemeinde als Vorsitzender, die Mutter arbeitet als niedergelassene Ärztin. Ihr Kind, das gerade mal ein Jahr alt ist, haben Jewgenij Wassermann und seine Frau bereits für den Kindergarten der Frankfurter Jüdischen Gemeinde angemeldet. Es soll im neuen Deutschland in der Geborgenheit der jüdischen Tradition und Kultur aufwachsen.

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