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DIE MODERNE GESELLSCHAFT VERHARMLOST DEN TATSÄCHLICH HERRSCHENDEN ANTISEMITISMUS

„Jüdisches Europa“ im Gespräch mit Prof. Dr. Charlotte Knobloch ist die beauftragte für Holocaust-Gedenken des Jüdischen Weltkongresses und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Charlotte Knobloch, Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress.                                     Foto © Team M&M
Charlotte Knobloch, Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress.                                     Foto © Team M&M

Frau Knobloch, ist das Leben von Juden in Europa heute gefährdeter als noch vor einigen Jahren? Aus Großbritannien und vor allem aus Frankreich flüchtet die jüdische Bevölkerung nach Israel oder in die USA. Nicht nur in Deutschland, sondern überall müssen jüdische Einrichtungen geschützt werden. Selbst in der Schweiz mussten die Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht und Israelitische Kultusgemeinden sowie Synagogen strenger bewacht werden.

 

Die Zahlen die ich kenne, zeugen noch nicht von einer Massenbewegung. Aber ja, es gibt jüdische Menschen, die an einer guten Zukunft für jüdisches Leben in Eu­ropa, speziell in Frankreich, zweifeln. Dass jüdische Menschen und Einrichtungen bis heute unter Polizeischutz stehen müssen, ist in der Tat ein Armutszeugnis für die Demokratien Europas. Wir hatten wirklich gehofft, dass die leider gebotenen Sicherheitsvorkehrungen im 21. Jahrhundert der Vergangenheit angehören würden – das Gegenteil ist der Fall.

 

Ist der Antisemitismus in den letzten Jahren gewachsen?

 

Ich war immer eine Gegnerin der viel zitierten, vermeintlich statistisch belegbaren These, es gebe in Deutschland einen stabilen Anteil von circa 20 Prozent latenter Antisemiten. Diese Aussage ist und war immer realitätsfern und zudem beschönigend. Sowohl Stabilität als auch Latenz verharmlosen den tatsächlich herrschenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Dieser war nie weg. Er war allerdings offenbar derart tabuisiert, dass wir nun mit Entsetzen feststellen, wie viel Hass und Missgunst noch immer in den Köpfen zu vieler Menschen das Bild von Juden prägen. Besonders das Internet, die Kommentarspalten der Medien, die Online-Foren und speziell die Sozialen Netzwerke – wobei man insofern von asozialen Netzwerken sprechen müsste – sind zu einer Plattform für rohen Hass geworden. Dass gegen diese Hate-Speach stärker durchgegriffen werden soll und bereits wird, ist längst überfällig. Denn die digitale Verrohung ist nur das Menetekel der damit einhergehenden, höchstens zeitlich verzögerten tatsächlichen Radikalisierung. Aber der Antisemitismus darf nicht das Problem der jüdischen Gemeinschaft sein. Es ist das Problem der Gesellschaft, in der er vorkommt, denn er ist ein Seismograph für die Verfasstheit der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.

 

Wird Antisemitismus von außen in die Gesellschaft getragen?

 

Der Antisemitismus in all seinen Formen muss analysiert, benannt, bekämpft und geächtet werden. Denn Judenfeindschaft ist nicht nur im Rechtsextremismus ein konstituierendes Merkmal. Er ist leider auch im linken politischen Spektrum fest verwurzelt und äußert sich in jüngster Zeit in Form von israelbezogenem Antisemitismus bzw. Antizionismus immer lauter und radikaler. Unter dem Deckmantel der Globalisierungs- und Kapitalismuskritik, der Friedensbewegung, der Menschen-, Frauen- und Kinderrechte oder des Verbraucherschutzes wird der politische und gesellschaftliche Diskurs mit antijüdischen Verschwörungstheorien vergiftet. Dieses Phänomen bereitet mir große Sorgen. Ebenso wie die Tatsache, dass gerade unter den jungen Muslimen hierzulande bisweilen ein regelrechter Judenhass vorherrscht, der nicht zuletzt in den deutschen Klassenzimmern und Schulhöfen ein immer größeres Problem wird. Spätestens dann, wenn der Holocaust thematisiert wird. „Jude“ ist heute wieder ein Schimpfwort. Das ist alarmierend. Insofern muss Antisemitismus nicht erst importiert werden. Er ist längst da. Aber umso mehr muss im Rahmen der Flüchtlings-Integration alles daran gesetzt werden, die antisemitischen Einstellungen, die in den meisten der Herkunftsländer der Flüchtlinge bewusst gefördert werden, zu erkennen und dagegen zu wirken. In diesen Heimatländern der Geflüchteten ist der Hass auf Israel und die Juden fester Bestandteil der Sozialisierung der Erziehung und der politischen Ideologie. Entsprechende Haltungen legen die Flüchtlinge nicht mit dem Übertreten der deutschen Grenze ab. Wir müssen den Menschen in Not helfen. Wer Anspruch auf Asyl hat, dem muss dieses Recht auch eingeräumt werden. Es ist im Sinne unserer humanen Grundsätze, diesen Menschen in Not eine gute und sichere neue Heimat zu geben. Aber wir müssen sie auch in die Pflicht nehmen, sich in unser Wertesystem einzugliedern, unsere rechtsstaatlichen und ethischen Normen anzuerkennen, sie einzuhalten und unsere Lebensweise zu akzeptieren. Dazu gehört natürlich, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz hat, dass das Existenzrecht Israels unantastbar ist und dass die Erinnerung an den Holocaust zu unserer politischen und moralischen Kultur gehört.

Das vollständige Interview finden Sie in der Print Ausgabe des Jüdischen Europas Nr. 3-2016

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