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In Echzell befindet sich neben der Kirche ein Kriegerdenkmal. „Die Toten mahnen – 1919 -1945“ steht auf der Wand. Auf mehreren Tafeln darunter wurden die Namen der Gefallenen der beiden Weltkriege, die aus dem Ort stammten, eingraviert.
In vielen Dörfern der Wetterau kann man solche Memorials finden. Vor gar nicht allzu langer Zeit hielten Rechtsradikale hier kultähnliche Mahnwachen. Doch die Einwohner von Echzell wehrten sich gegen die Neonazis und ihre Aktivitäten. Der unter dem Decknamen „Schlitzer“ bekannte Anführer sitzt heute im Gefängnis. Seine Bande, die sich „Old Brothers“ nannte, hat sich aufgelöst. Zeitgleich gründeten engagierte Bürger auch einen Arbeitskreis „Jüdisches Leben in Echzell“ mit dem Ziel, „die Vergangenheit der ehemaligen jüdischen Gemeinde Echzells aufzuarbeiten“. Unter dem Vorsitzenden Dr. Jochen Degkwitz griffen die Hobbyhistoriker mutig ein Tabuthema auf und brachen damit das bisherige Schweigen innerhalb ihres Ortes. Nie wieder sollten Menschen wegen ihrer Religion oder Hautfarbe ausgegrenzt werden. „Juden, die hier lebten, waren unsere Nachbarn und keine Fremden“, betont Dr. Degkwitz. Viele jüdische Familien wohnten seit Generationen im Ort, „kloppten gemeinsam mit anderen Echzellern Karten, waren Schul- und Vereinskameraden und feierten zusammen. Sie waren ganz normale Bürger von Echzell“. In der NS-Zeit wurden sie ausgegrenzt, Freundschaften von den Nationalsozialisten unterbunden und, wie beispielsweise Emma und Hermann Heilbronn, im September 1942 direkt von hier in ein Vernichtungslager deportiert.
Ein Denkmal sollte an das Leid dieser entrechteten und ermordeten ehemaligen Echzeller erinnern und gleichzeitig ein sichtbares Zeichen gegen Rechts an einem zentralen Platz setzen. So kam man auf die Idee, das Mahnmal gleich neben das Kriegerdenkmal zu stellen, was zunächst zu großen Auseinandersetzungen und öffentlich geführten Debatten innerhalb der Gemeinde führte. Schließlich fügten sich alle der Argumentation des Arbeitskreises. „Auch Juden aus Echzell waren in den Ersten Weltkrieg gezogen und gefallen“, betonte Dr. Degwitz. Neonazi-Aufmärsche gab es seitdem nicht mehr.
59 Juden, Männer, Frauen und Kinder, die in Echzell und den heute eingemeindeten Ortsteilen Bisses und Gettenau geboren oder dort längere Zeit gelebt hatten, überlebten den Holocaust nicht. Ihre Namen sind in den Sockel des Denkmals mit Geburts- und soweit bekannt, auch Todesdatum und Todesort mit einem Laser eingraviert. „Wer vergisst, wird blind dem Unrecht. Wer gedenkt, umarmt die Opfer“ steht auf der Vorderseite des Sockels der „Zur Erinnerung an die Echzeller Opfer der Judenverfolgung 1933-1945“ aufgestellt wurde. Darüber sieht man 30 in Bronze gegossene ausgemergelte Figuren, die symbolisch für alle jüdischen Opfer dieses Ortes stehen. Sie stehen dicht aneinandergedrängt. Dieses, von dem örtlichen Künstler Alf Seckel geschaffene Werk, wurde mit Spendengeldern finanziert. Allen voran die evangelische Kirche von Echzell, verschiedene lokale Firmen und Institute und sehr viele Bürger und Bürgerinnen. Deren großzügige Spendenfreudigkeit beeindruckte den Arbeitskreis sehr, zeigt dies doch auch ihre Bereitschaft, sich gerade an einem Ort, wo Neonazis ihr Unwesen trieben, nicht nur mutig dagegen zu stellen, sondern auch die Vergangenheit aufzuarbeiten. „Ich sah die Angst der Menschen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden“, erzählt Künstler Alf Seckel, „ich fühlte ihre Furcht, ihre Verlassenheit und die Grausamkeiten, die sie erleben mussten.“ Die Arbeit an dem Denkmal habe ihn hellhöriger auch für Gegenwärtiges gemacht und damit das Wissen, „dass sich solches jederzeit wiederholen könnte“. Die Bevölkerung auffordern aus der Geschichte zu lernen, will er mit seiner Arbeit. „Vier Wochen lang fühlte ich den Horror in meinen Gliedern“. Die historischen Tatsachen waren ihm zwar schon vorher aus Büchern und Filmen bekannt, doch erst die Spurensuche in seinem Wohnort und die Beschäftigung mit den früher dort lebenden Juden und ihrem konkreten Schicksal ließ ihn sensibler werden, und dieses eigene Erleben, „mein Fühlen, meine Empfindungen flossen in die Arbeit ein.“ Entstanden ist ein Kunstwerk, das zwar das Leiden zeigt, zugleich aber auch die ungebrochene Würde der Gequälten und Ermordeten. Sechs Plätze in der Gruppe sind leer geblieben. Gedacht sind sie für weitere Statuen, die noch auf einen Sponsor warten. Auch wenn die Zeitspanne von der Idee zur Realisierung relativ kurz war, brauchte es dennoch sieben Jahrzehnte, bis ein solches Denkmal aufgestellt werden konnte. Viele Jahre versuchten Echzells Einwohner dieses dunkle Kapitel ihrer Vergangenheit totzuschweigen. Das „schmerzt und ist beschämend“, sagte Initiator und Arbeitskreisvorsitzender Dr. Jochen Degkwitz in seiner Rede zur Einweihung des Memorials, „diese Toten haben keine Gräber, sie wurden irgendwo namenlos verscharrt und verbrannt“. „Wir wollen damit die Opfer wieder in unsere Mitte aufnehmen.“ Sie nun wieder ins Gedächtnis der Einheimischen wie Fremden zurückzubringen, sieht der Arbeitskreis als Auftrag.
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