Seit der Erfindung der Briefmarken gibt es auch Briefmarkensammler. Chronologisch geordnet nach Entstehungsjahr oder Ländern werden sie seit Jahrzehnten fein säuberlich in extra dafür gedruckte Kataloge eingeordnet. Eine einzelne Briefmarke kann Millionen kosten. Man denke nur an die „Blaue Mauritius“, eine der teuersten der Welt.
Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts begann daneben eine neue Form des Sammelns nach Motiven. Briefmarken, mit Abbildungen von Hunden oder Katzen wurden beispielsweise so ein weltweites Sammelgebiet. Nur das schöne Bild ist wichtig, weniger das Land, in dem die Marke produziert wurde. Man hortet Abbildungen von Bau-und Kunstwerken, Pflanzen, Tieren, Eisenbahnen, die Sammelgebiete sind so unterschiedlich wie die Briefmarken und auch so vielfältig.
Wenig Beachtung fand bisher die Philatelie als Zeitzeuge jüdischer Geschichte. Umso erfreulicher ist es, dass der Schweizer Verlag Morascha sich diesem relativ unbekannten Gebiet annahm und darüber ein Buch mit zahlreichen Abbildungen herausbrachte. Im Unterschied zur Numismatik interessieren sich kaum Historiker für diese Postgeschichte, betont Autor Hans Michael Riemer, „nicht einmal im Bereich der Holocaust-Geschichte, wo dies besonders nahe liegend wäre.“ Seit 50 Jahren sammelt der Schweizer Philatelist und ehemaliger nebenamtlicher Bundesrichter in Lausanne nicht nur Briefmarken,sondern auch komplette Briefumschläge mit Stempeln und verschickte Postkarten, die oft viel mehr über die Zeit und Umstände aussagen, als nur einzelne Marken. Das gut recherchierte und reich bebilderte Buch beginnt mit philatelistischen Abbildungen des 1. Zionistenkongresses, der 1897 in Basel stattfand. Vorder- und beschriebene Rückseiten auch der Postkarten mit Hinweisen der folgenden Kongresse aus Basel, Zürich, Hamburg, Wien, Karlsbad und Prag geben einen kleinen Eindruck in das Werden des jüdischen Staates. Wertvolle Autographen sind darunter, so eine Postkarte an Max Norden. Vor allem zeugen die kleinen Kostbarkeiten von Teilnehmern aus den verschiedensten Ländern, deren unermüdlichen Einsatz für die Gründung eines jüdischen Staates, von dessen Erfolg Karten aus dem 23. Zionistenkongress erzählen, der 1951 in Jerusalem stattfand.
Ein weiterer Abschnitt des Buches erzählt anhand judenfeindlicher Karten aus Deutschland und Österreich vom sich ausbreitendem Antisemitismus, der in den Vernichtungslagern seinen Höhepunkt fand. Aus verschiedenen Ghettos aber auch aus Konzentrationslagern abgeschickte Karten sowie Feldpostbriefe der Täter von Bergen-Belsen, Buchenwald und letzte Grüße der Opfer an ihre Familien geben Zeugnis von Verfolgung und brutaler Ermordung. Als Trophäe verwendeten Wehrmachtssoldaten zerstückelte Tora-Fragmente als Schreibpapier, was viel von ihrer Verachtung jüdischer Kultur und jüdischer Menschen preisgibt. Briefumschläge aus Schanghai, England oder der Sowjetunion sind Zeugnisse der lebensrettenden Emigration.
Andere sind Beweise der Internierung in australischen Flüchtlingslagern. Einen kleinen Einblick in eine sorgfältig zusammengetragene Sammlung gibt dieses sehr informative Buch mit Abbildungen einiger philatelistischer Juwelen, die sehr selten zu sehen sind. Es wäre schön, wenn es Historiker anregen könnte, sich intensiver auch mit diesen wertvollen Zeitzeugen zu beschäftigen und sie in ihre Forschungen noch stärker mit einzubeziehen.
Hans Michael Riemer, „Philatelistische Zeitzeugen jüdischer Geschichte“, Verlag Morascha, 420 Seiten, Preis: 129,- CHF (Schweiz)