Das jüdische Leben in Krakau wandelt sich. Es gibt mehr jüdische Hochzeiten, mehr Bar und Bath Mitzwoth und auch mehr Juden besuchen die G'ttesdienste. Noch vor zehn Jahren sprach man von einem jüdischen Disneyland. Das gibt es heute immer noch.
Die Geschäfte sind voller Nippesfiguren aus Plastik oder Ton, Juden mit langen Schläfenlocken, einen Hut oder wenigstens die Kippa auf dem Kopf. Sie tragen den Kaftan und sind damit sofort als Orthodoxe erkennbar, die auf der Fidel spielen oder Geld zählen. Ein kitschiges Souvenir das den Geldwechsler darstellt, gilt nebenbei auch als Glücksbringer und wird Hochzeitspaaren gern als Geschenk gemacht. „Hängt man ein Bild von einem Juden mit Geld an die Eingangstür, verlässt das Geld das Haus nicht“, heißt es im polnischen Aberglauben, ärgert sich Ewelina Giefer über den so tief sitzenden Antisemitismus des Volkes.
Vor dem Krieg lebten rund 70.000 Juden in Krakau, das war ein Viertel der Bevölkerung. Heute sind es weniger als 200. Dennoch begegnen dem Touristen vor allem im alten jüdischen Stadtteil Kazimierz überall Juden und jüdische Einrichtungen. Polen als Juden verkleidet, spielen Klezmermusik, fast jedes Restaurant bietet jüdische Gerichte an, koscher Wein wird zum Kauf empfohlen. Wer es nostalgisch möchte, kann sich in einem Pferdegespann durch Kazimierz kutschieren lassen. Die meisten Touristen jedoch steigen lieber in kleine Elektrobusse, die Fahrten durch den jüdischen Teil der Stadt im Programm anbieten. Kazimierz ist als Wirtschaftsfaktor inzwischen fester Bestandteil der Stadtplanung geworden. Als Touristenmagnet steht der Ausbau und der Restaurierung bereits an 3. Stelle, hinter dem Wawel und der Marienkirche in der Altstadt.
Im jüdischen Stadtteil Kasimierz sieht man davon wenig. Viele Hausfassaden sind nach wie vor heruntergekommen, andere bereits restaurierte haben Risse an den Wänden. Oft wurde an den Baumaterialien gespart. Dennoch ist das jüdische Viertel ein Besuchermagnet.
Bei solch verbesserten Verdienstmöglichkeiten werden so manchem Krakauer auch Juden immer sympathischer und tolerieren sie mehr als früher. Als nach dem Krieg einige wenige Juden wieder zurück kamen und ihre Besitztümer von den Polen zurück forderten, kam es 1945/46 zu offenen Ausschreitungen in Krakau. In Kielce wurden während des Pogroms jüdische Menschen sogar ermordet. Die wenigen in Polen gebliebenen Juden lebten in ständiger Angst und Sorge und verschwiegen meist ihre jüdische Identität. Doch das hat sich, wenigstens in Krakau, in den letzten Jahren geändert, wo auch ältere jüdische Einwohner langsam selbstbewusster werden. Unter dem wachenden Auge des Tourismusbüros entsteht wieder neues jüdisches Leben. Rund 40 Beter besuchen am Schabbat die Synagoge, die dann nur für Juden geöffnet, ansonsten aber auch für Touristen zugänglich ist. Von den inzwischen sechs restaurierten Synagogen werden zwei wieder als G‘tteshäuser genutzt. In der großen „Isaac-Synagoge“ zelebriert Chabad Lubawitsch den G‘ttesdienst. Etwas weiter gibt es einen koscheren Mittagstisch und einen Laden für koschere Produkte. Wie überall hilft auch in Krakau Chabad erfolgreich modernes jüdisches Leben aufzubauen, mit Religionsunterricht, Hochzeitsvorbereitungen, Bar und Bath Mizwoth, einer Frauengruppe, einem Judaika-Geschäft, einer Bibliothek und einer Mikwe für Männer.
Über einer ehemaligen jüdischen Schule wohnt jetzt wieder eine jüdische Familie. Allen sichtbar haben sie neben dem Platz der abmontierten alten, nun eine neue Mesusah angebracht. Auch in der Remuh-Synagoge beten gläubige Juden, die sich freuen, dass diese Synagoge restauriert wurde. Wenn auch nur die Außenfront, im Hof sieht man große Risse am Gebäude, doch auch hier soll demnächst wieder alles baulich in Ordnung gebracht werden. Mehrere Hotels in Kazimierz locken Besucher. Wie früher bietet ein historisches Hostel einfache Übernachtungen für 15 bis 45 Zloty an, während wenige Meter weiter Sicherheitspersonal ein vornehmes jüdisches Hotel in dem sich auch eine Mikwe befindet, bewachen. Hier steigen vor allem jüdische Touristen aus den USA und Israel ab. Nazi-Schmierereien an der Hinterfront des vornehmen Hauses künden allerdings von einem unterschwelligen Antisemitismus, der latent immer noch vorhanden ist.
So manch berechtigter Restitutionsanspruch wird bis heute vom Grundbuchamt verzögert, der Antrag verschleppt und nicht bearbeitet. Immer noch gibt es viele offene Fälle, die zeigen, dass die Geschichte noch lange nicht aufgearbeitet wurde und das vom Staat und von der Stadt geförderte jüdische Leben in Krakau eine Ausnahmesituation ist.