BAUTE EIN NAZI DIE SYNAGOGE IN FRANKFURT?

Prächtig ist die große Synagoge in Frankfurt am Main. Majestätisch im assyrisch-orientalischen Stil, in den Formen der frühen Moderne gebaut, erhebt sich das G'tteshaus – von außen weit sichtbar. Es ist ein architektonisches Juwel, in dessen Inneren etwas bisher einmaliges in der jüdischen Welt passiert. Unter einem Dach findet in der Mitte der G'ttesdienst der konservativ ausgerichteten großen Gemeinde statt. Im „Stiebel“ einige Meter davon entfernt, betet die Gruppe der orthodoxen Chabad Lubawitsch mit ihren Anhängern, während in Räumen neben der Mikwe eine Rabbinerin den liberalen Ritus zelebriert. weiter

Westendsynagoge in der Freiherr-vom-Stein-Straße in Frankfurt am Main
Westendsynagoge in der Freiherr-vom-Stein-Straße in Frankfurt am Main

Was war das für ein Mann, der diese Synagoge gebaut hat? Der Architekt heißt Franz Roeckle. Er ist nichtjüdisch und stammt aus Liechtenstein. In Vaduz wurde er in einer wohlhabenden Unternehmerfamilie geboren. In Österreich und Deutschland studierte er Architektur. 1903 legte er darin ein Staatsexamen in Stuttgart ab. Roeckle war ein begabter Architekt, der unter anderem mehrere Bauten für die jüdische Gemeinde realisierte, wie den Bau des Israelitischen Krankenhauses und des Schwesternheimes. 1924 entstand im Auftrag des jüdischen Unternehmers Felix Weil das Institut für Sozialforschung. Sein bedeutendstes Werk jedoch wurde die Frankfurter Westendsynagoge, deren Bau 1908 begann und der 1910 fertig gestellt wurde.

 

War Franz Roeckle in dieser Zeit wirklich loyal? Man weiß wenig über ihn und sein Leben und das hat einen Grund. Denn der Architekt, der sich nicht scheute, Aufträge der Israelitischen Gemeinde und jüdischer Mäzene anzunehmen und auch auszuführen, outete sich wenig später als Nazi und NSDAP-Mitglied. Hans Riebsamen, Journalist der FAZ, recherchierte über ihn und entdeckte neu, was zwar bekannt war, doch dann verdrängt und schließlich erfolgreich vergessen wurde. Franz Roeckle hat sich an einem Pogrom beteiligt.

 

Alfred und Franz Rotter waren Besitzer verschiedener Theater in Berlin. Ihnen gehörten das Lessingtheater, das Lustspielhaus in der Friedrichstraße und das Centraltheater. Goebbels hasste die Theaterkönige und hetzte gegen ihren „verjudeten Berliner Amüsierbetrieb“. Die Familie Rotter flüchtete nach Liechtenstein, um den Nazischergen zu entkommen. Sie hatten kein Glück.

 

Mit Gewalt wollten die Nationalsozialisten sie zurück nach Deutschland schleppen. Doch die Rotters ließen sich nicht so einfach entführen und versuchten zu fliehen. Die vier Nazis, einer von ihnen war der Architekt Franz Roeckle, verfolgten sie und trieben ihre Opfer in die Enge. Fritz Rotter und seine Begleiterin wurden schwer verletzt. Alfred Rotter und seine Frau Gertrud stürzten einen Felsen herunter. War es ein Unfall, wie es später vor Gericht dargestellt wurde, oder wurden sie absichtlich gestoßen? Die Eheleute waren sofort tot. Ihre Mörder, Franz Röckle, Rudolf Schädler, Peter Rheinberger und Eugen Frommelt wurden in Vaduz angeklagt, doch erhielten sie alle nur eine geringe Strafe. Die Liechtensteiner Richter waren den Angeklagten wohlgesinnt. Den jüdischen Anwälten des Klägers Fritz Rotter wurde dagegen sogar untersagt, ihre Plädoyers zu halten. Auch in Liechtenstein waren große Bevölkerungsteile begeisterte Anhänger Adolf Hitlers. Auf eine Anklage wegen eines Attentats mit Todesfolge verzichtete der Staatsanwalt. Roeckle wie auch die drei anderen waren nur kurze Zeit im Gefängnis. Einer Petition, unterzeichnet von 700 Liechtensteinern mit der Bitte nach einer vorzeitigen Haftentlassung wurde stattgegeben. „Es war ein politisches Attentat, vielleicht nicht das einzige, doch das schwerwiegendste des kleinen Landes“ schrieben später die Liechtensteiner Historiker Norbert Haas und Hansjörg Quaderer über die „Rotter-Affäre“.

 

Es gibt viele nichtjüdische Architekten, die jüdische Gemeindehäuser und Synagogen bauten und bauen. Die meisten von ihnen verhielten sich ihr Leben lang loyal gegenüber Juden. Prominentestes Beispiel dafür ist der Architekt Semper, der in Dres- den die berühmte Sempersynagoge baute, die in der NS-Zeit zerstört wurde. Auch die heutige neue Synagoge wurde von einem nichtjüdischen Architekturbüro gebaut, wie viele andere moderne jüdische G‘tteshäuser ebenfalls. Doch sollte das Beispiel Roeckle nicht vergessen werden. 1910 ahnte niemand die Wandlung des Synagogenbauers zum Nazi und Judenmörder. Es gibt heute eine ganze Reihe gegenwärtiger jüdischer Architekten, einige sogar von Weltruhm wie Zwi Heckel oder Daniel Libeskind und viele andere, die moderne Gemeindehäuser und Synagogen bauen. Bei ihnen können wir sicher sein, dass sie auch Jahrzehnte später sich bestimmt nicht an Pogromen beteiligen werden.