DER ANTISEMITISMUS IN EUROPA NIMMT ZU – INTERVIEW MIT PROF. DR. ALFRED DONATH

   

Jüdisches Europa:

 

 

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

 

 

Delegierte aus jüdischen Gemeinden fast aller europäischen Staaten vertreten im Europäisch-Jüdischen Kongress EJC das europäische Judentum. Ist es in der „Antisemitismuskommission“, die eine Unterorganisation ist, ebenfalls so? Wer sitzt neben dem in London lebenden Weinberger und Ihnen ebenfalls im Vorstand der Kommission?

Im Board sind wir fünf Delegierte. Neben den bereits genannten auch Tomas Kraus aus Tschechien, Shaul Grünfeld aus Belgien und der Generalsekretär des EJC Serge Cwajgenbaum. Wir arbeiten auch viel mit anderen Organisationen zusammen, wie zum Beispiel mit Haim Muzicant, der in Frankreich im Bereich Antisemitismusbekämpfung des CRIF tätig ist oder mit Mike Whine, der in Großbritannien als Direktor des „Goverment & International Affairs Community Security Trust UK“ ebenfalls die antisemitische Szene beobachtet.


Jüdisches Europa:

Prof. Dr. A. Donath:  

 

 

 

 

 

Bekommen Sie auch Informationen aus Deutschland?
Wir arbeiten sehr eng mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zusammen, von dem wir regelmäßig Berichte und Meldungen erhalten. Aber auch aus Frankreich, Groß­britannien und anderen nationalen jüdischen Organisationen werden wir informiert. Rund vierzig jüdische Landesorganisationen schick­en uns jährlich einen Bericht, den wir dann an das Steven Roth Institut der Tel-Aviver Universität weiterleiten, wo unter Leitung der Direktorin Dina Porat daraufhin ein Buch über Antisemitismus in Europa entsteht. Der Nachteil dieser Publikation ist jedoch, dass sie nur einmal im Jahr, zwischen April und Mai, erscheint. Wir dagegen sind die ganze Zeit auf dem Laufenden, wissen schnell, wo und wann irgendwo etwas passiert und wenn es nötig ist, interveniert der Europäisch-Jüdische-Kongress dann direkt bei den zuständigen Behörden. Aber, und das betone ich, nur dann, wenn der EJC von den nationalen jüdischen Organisationen aufgefordert wird, etwas zu unternehmen.
   

Jüdisches Europa:

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

Gibt es nationale jüdische Gruppierungen, die weder mit dem Europäisch-Jüdischen Kongress, noch mit der Antisemitismuskommission zusammen arbeiten?

Leider ja. Ariel Muzicant, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden Österreichs, ist der einzige, der nicht mitarbeitet.


Jüdisches Europa:

 

 

 

 

 

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

Vor einigen Jahren, als Moshe Kantor zum Präsidenten der Europäisch- Jüdischen Kongresses gewählt wurde, gab es eine Opposition dagegen. Die Delegierten aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Portugal traten aus Protest aus der europäischen jüdischen Gemeinschaft aus. Inzwischen sind jedoch die Streitigkeiten größtenteils beigelegt und der Zentralrat der Juden in Deutschland, CRIF, die Hauptorganisation französischer Juden und die Vertretung der in Portugal lebenden Juden arbeiten wieder aktiv im Europäisch-Jüdischen Kongress mit.
Österreich leider nicht. Muzicant ist bei seiner Haltung geblieben und verweigert die Zusammenarbeit. Deshalb bekommen wir auch keine Mitteilungen über antisemitische Vorkommnisse.

Jüdisches Europa:

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

 

Wie kann die Antisemitismuskommission des Europäisch-Jüdischen Kongresses und der EJC den jüdischen Gemeinden bei ihrem Engagement gegen Antisemitismus helfen?
Mit unserem neuen Büro in Brüssel haben wir nun eine permanente Vertretung in der politischen Hauptstadt Europas geschaffen. Ständig sind wir in Kontakt mit den Parlamentariern, auf die wir auch Einfluss zu nehmen versuchen. So konnte der EJC zum Beispiel mehrere Abgeordnete überzeugen, dass die in Europa stark angegriffene und zum Teil verbotene Schechita nun als ein religiöser Akt bezeichnet wurde, der im Rahmen der freien Ausübung der Religion jetzt gestattet bleibt.

Jüdisches Europa:

 

 

 

 

 


Prof. Dr. A. Donath:

 

Einige Monate schien es so, als ob der ägyptische Kulturminister Faruk Hosny neuer UNESCO-Generalsekretär wird. Das wäre eine Katastrophe für die jüdische Welt geworden, ist er doch wiederholt mit antisemitischen und israelfeindlichen Äußerungen aufgefallen. Öffentlich hatte er beispielsweise zur Verbrennung israelischer Bücher aufgefordert. Allein dieser Vorgang macht ihn als obersten Chef der Kulturorganisation der Vereinten Nationen ungeeignet.
Was wir auch verhindert haben. Nach dem unentschiedenen vierten Wahlgang gelang es uns, die Delegierten von Spanien und Italien zu überzeugen, dass sie gegen und nicht für Hosny stimmen.

Jüdisches Europa:

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

 

 

Und so wurde die bulgarische Diplomatin Irina Bokowa neue UNESCO-Generalsekretärin. Wie gut ist generell die Zusammenarbeit mit den europäischen Politikern?
An der offiziellen Eröffnung unseres Büros haben über hundert Parlamentarier teilgenommen, die kamen weil sie eine gewisse Sympathie für uns Juden und den Europäisch-Jüdischen Kongress haben. Darunter waren solch wichtige Persönlichkeiten wie der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso und der Präsident des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek. Aus Israel kam Uzi Landau, Minister für nationale Infrastruktur. Am Abend ehrte Senatspräsident Armand De Dekker den Präsidenten des Europäisch-Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor, mit der Leopold-Medaille, eine der höchsten Auszeichnungen des belgischen Staates.

Jüdisches Europa:

 

Prof. Dr. A. Donath:

Können Sie uns Beispiele nennen, wo sich nationale jüdische Organisationen an Sie wandten mit der Bitte zu helfen?
Das schlimmste Ereignis war eine in der schwedischen Presse erschienene Anschuldigung, israelische Soldaten würden Palästinenser töten, um ihre Organe für Transplantationen zu stehlen.

Jüdisches Europa:

 

Prof. Dr. A. Donath:

Das erinnert an mittelalterliche Behauptungen, Juden würden Blut ermordeter Kinder zur Herstellung von Mazzot verwenden.
Deshalb sind wir besonders empört. Moshe Kantor hat persönlich interveniert und auf Regierungsebene gab es dann zwischen Israel und Schweden Gespräche über diesen Vorfall. Moshe Kantor hat dann zusätzlich noch einen offenen Brief an das schwedische Volk gerichtet, der in Schweden weit verbreitet wurde.

Jüdisches Europa:

Prof. Dr. A. Donath:

 

 

 

 

 

 

Es ist schlimm, dass der Antisemitismus überall zunimmt.
In Frankreich auf jeden Fall, in Großbritannien, in den Beneluxländern und auch in der Schweiz. Schüler, die in Frankreich eine Kippa tragen, werden auf der Straße tätlich angegriffen und auch Rabbiner. In der französischen Schweiz haben wir fast doppelt so viele Angriffe registriert, wie im Jahr 2008. Es erstaunt mich immer wieder, dass die Polizei, die im Allgemeinen sehr gut arbeitet, fast immer gerade dann im Dunklen tappt, wenn Straftaten irgendwie mit Antisemitismus verknüpft sind. Unaufgeklärt ist der Mord an einem Rabbiner in Zürich oder der Brand der sephardischen Synagoge in Genf. Auch in Lugano wurde die Synagoge angezündet. Dort hat man einen Italiener verhaftet, der als geistesgestört erklärt wurde. Nie hat man dabei untersucht, mit wem er verkehrte und wer ihn beeinflusste. In Genf wurden in einer Talmudschule nachts Fenster eingeschlagen und bis heute weiß man nicht, wer es getan hat. Auch werden anonyme Drohbriefe an Juden verschickt. Die Polizei wird erst aktiv, wenn jüdische Organisationen nachforschen und Ergebnisse präsentieren. Es ist schon eigenartig, wie passiv die Polizei sich gegenüber antisemitischen Aktionen zeigt.

Jüdisches Europa:

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

Nicht nachvollziehbar ist auch die Haltung der Schweizer Delegierten bei der UNO.
Als damals in Genf während der Durban II Konferenz Ahmadinedschad seine Hassrede hielt, verließen fast alle europäischen Delegierten aus Protest den Saal. Nur die Schweizer blieben. Angeblich aus Höflichkeit als Gastgeber. Jetzt wiederholte sich ein ähnlicher Vorfall in New York. Auch dort verließ die Schweizer Delegation nicht den Saal.

Jüdisches Europa:

 

Prof. Dr. A. Donath:

Und bei der Diskussion über den Gold­stone-Bericht hat die Schweiz für diesen gestimmt.
Wir machen uns sehr, sehr große Sorgen, weil die Schweizer Regierung ihre Haltung so sehr geändert hat. Trotzdem machen wir weiter und lassen es nicht dabei bleiben.

Jüdisches Europa:

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

In der Schweiz wie in Norditalien wird erneut Wein verkauft, den Etiketten mit Bildern von Adolf Hitler und Himmler schmücken.
In Genf werden auch kleine Statuen in Nazi-Uniformen zum Kauf angeboten. Es ist sehr schwer, dagegen erfolgreich zu intervenieren. Die Hersteller argumentieren, dass sie historische Repliken auf den Markt bringen, von der napoleonischen Zeit bis heute. Neu aufgelegt werden soll auch das Buch „Mein Kampf“ von Hitler.
 

Jüdisches Europa:

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

 

Darüber debattiert man auch in Deutschland. Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, ist dafür, wenn entsprechende Kommentare mit gedruckt werden.
Meines Erachtens wäre es ein Fehler. Für solch entsetzliche Literatur sollte man nun wirklich keine Propaganda machen. Es genügt, wenn Hitlers Schrift und auch die „Protokolle der Weisen von Zion“ in Ägypten neu gedruckt werden. Es ist und bleibt eine antisemitische Hetze und beeinflusst die Leser, auch wenn ein Kommentar dabei ist.
 

Jüdisches Europa:

 

 

Prof. Dr. A. Donath:

 

Arbeitet die Antisemitismusorganisation auch mit anderen Organisationen, wie z. B. mit B‘nai B‘rith zusammen, die ebenfalls eine Abteilung haben, die antisemitische Vorfälle beobachten.
Es wird viel parallel gearbeitet und es gibt eine Vielzahl von Organisationen, auch Abraham Foxman mit der Anti-Defamation-League. Je mehr man sich dem Antisemitismus entgegen stellt, umso besser ist es.