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Im Oktober 1965 verabschiedete sich der Vatikan auf dem Zweite Vatikanischen Konzil“ vom antisemitischen kirchlichen Antijudaismus. 67 Jahre sind seitdem vergangen. Immer wieder gab es Rückschläge. Die Annäherung zur jüdischen Gemeinschaft geht nur langsam voran.
WJC-Delegation zu Gast bei Papst Franziskus im Vatikan. In der ersten Reihe sitzen u.a. WJC-Präsident Ronald S. Lauder, EJC-Präsident Ariel Muzicant, Dr. Yuri Kanner, Julius Meinl, Maram Stern und Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster. Foto © Vatican Media
Jahrtausendelang wurden Juden von der Christlichen Kirche beschimpft und verhöhnt. Bis heute verspotten steinerne Darstellungen der „Judensau“, an deren Zitzen Rabbiner saugen an den Außenfassaden vieler Kirchen Europas oder Holzschnitzereien im Chorgestühl wie beispielsweise im Erfurter Dom die jüdische Bevölkerung. Seit 1991 wird das Gebäude wieder als Kathedrale des neugeschaffenen Bistums Erfurt und als Sitz des Domkapitals genutzt. Stolz auf das mittelalterlicher „Kunstwerk“ weist man in Frankfurt/Oder auf die Fenster der Marienkirche hin, in denen die Legende der dem Antichristen dienenden „Roten Juden“ dargestellt wurde. Mit der Verunglimpfung wurden christliche Gläubiger aufgehetzt und allzu oft folgten in diesen Städten auch Vertreibungen und blutige Pogrome. Noch heute ehrt die Katholische Kirche Bischöfe und andere Geistliche, die sich u.a. bei der Zerstörung jüdischer G‘tteshäuser und der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung besondere Verdienste erworben haben, wie der im 4. Jahrhundert lebende Mailänder Bischof Ambrosius.
Erst auf dem „Zweiten Vatikanischen Konzil“ im Oktober 1965 verabschiedete sich der Vatikan offiziell vom antisemitischen kirchlichen Antijudaismus und erklärte die Juden zu „unseren älteren Brüdern“. Vorausgegangen war eine Initiative von Papst Johannes XXIII., der als Nuntius in Bulgarien und Ungarn NS-Judenverfolgungen miterlebt hatte und daraufhin mehreren Juden das Leben rettete. Seit seinem Amtsantritt 1958 leitete er ein neues Verhältnis der katholischen Kirchen zum Judentum ein. Einer seiner ersten Schritte war 1959 die Änderung der Karfreitagsfürbitte, aus der er die beleidigenden Sätze über „jüdische Untreue“ (judaicam perfidiam) und die Charakterisierung jüdischer Menschen als „treulos“ und voller „Schuld am G‘ttesmord“ streichen ließ. Diese Erklärung, die nach ihren Anfangsworten „Nostra aetate“ bekannt ist, beendete die katholische Legende von der „jüdischen Kollektivschuld“ an der Kreuzigung Christi, die in früheren Jahrhunderten immer wieder zum Anlass für Verfolgungen und Pogrome genommen wurde.
Päpste besuchen Synagogen – im Abstand von Jahrzehnten
Die Annäherung geht schleppend voran Auch seine Nachfolger, die als Kirchenoberhaupt im Amt folgten, hielten an dem neu eingeschlagenen Kurs der vatikanischen Umkehr von seiner jahrhundertelangen antijüdischen Politik fest. Papst Paul VI. führte die von seinem Vorgänger begonnene Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils fort. Viel diskutiert wurde seine Ankündigung als erster Papst Israel besuchen zu wollen, ein Plan, den er allerdings nicht realisieren konnte. Er starb 1978 an den Folgen eines Herzinfarkts. Karol Józef Wojtyła, bekannt als Papst Johannes Paul II., setzte die Tradition der Öffnung und des Dialogs mit dem Judentum fort. 1986 besuchte er die große Synagoge von Rom, das der Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo Di Segni als ein „Ereignis von großem symbolischen Wert“ bezeichnete. Übrigens besuchte er einige Jahre später auch die die Umayyaden-Moschee in Damaskus und war damit der erste Papst, der in einer Moschee gastierte.
Erst 24 Jahre später betrat mit Papst Benedikt XVI. erneut ein kirchliches Oberhaupt das jüdische G‘tteshaus in Rom, zuvor besuchte er 2005 die Kölner Synagoge, wo er auch Gespräche mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Rabbinerkonferenz führte. Im gleichen Jahr reiste Benedikt XVI. nach Israel. An der Klagemauer in Jerusalem steckte er nach einem Gebet auch Kwittel in die Mauerspalten. Der Dialog mit Vertretern des Judentums und interreligiöse Begegnungen schienen diesem Papst eine Herzensangelegenheit zu sein. Der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland Paul Spiegel würdigte sein Handeln als „hoffnungsvolles Zeichen der Verständigung zwischen Juden und Christen“ und Abraham Lehrer, der seit 2014 bis heute die Position des Vizepräsidenten des Zentralrates ausübt, lobte Papst Benedikt XVI. für seine „Akzeptanz und Toleranz gegenüber dem Judentum“ und begrüßte ihn als „größten Brückenbauer zwischen den Religionen“. 1994 nahmen der Vatikan und Israel volle diplomatische Beziehungen auf.
Harsche Kritik gegen Wiedereinführung der Karfreitagsfürbitte und Aufhebung der Exkommunikation
Doch es gab auch kritische Stimmen. 2006 besuchte der Pontifex das KZ Auschwitz-Birkenau. Enttäuscht über seine dortige Rede kritisierte Polens Oberrabbiner Michael Schudrich, dass der Papst kein Wort über die Mitschuld polnischer Antisemiten noch über den immer noch grassierenden Antisemitismus in Polen gesprochen hatte. Harsche Kritik erntete der Papst auch, als er die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil geltenden Einschränkungen für die alte lateinische Messe aufhob und die Karfreitagsfürbitte, in der für eine Bekehrung der Juden gebetet wird, wieder in den Ritus aufnahm.
Misstrauisch beobachtete die jüdische Welt ebenfalls die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft. Einer von ihnen war Richard Williamson, der wiederholt den Holocaust geleugnet hatte. Die jüdische Welt war entsetzt, Prof. Dr. Salomon Korn, damaliger Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, warnte, dass Papst Benedikt XVI. „die Versöhnung mit den Juden, die seine Vorgänger vorangebracht haben, in Frage stellt“, und Jizchak Cohen, der israelische Minister für Religionsangelegenheiten drohte dem Vatikan mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Dazu kam es dann doch nicht. Papst Benedikt XVI. bestätigte daraufhin in einer Erklärung die „unwiderrufliche Verpflichtung der Kirche zu einem respektvollen und harmonischen Umgang mit dem Volk des Bundes“ und plädierte dafür, den Dialog mit den Juden nicht abzubrechen, die er als „Väter im Glauben“ bezeichnete. Fünf Monate später besuchte er im Beisein von Staatspräsident Shimon Peres, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dem Vorstandsvorsitzenden von Yad Vashem Avner Shalev und dem Vorsitzenden des Yad Vashem Gremiums Oberrabbiner Israel Meir Lau die Gedenkstätte Yad Vashem und erinnerte in seiner Rede an die Schrecken des Holocaust: „Mögen die Namen dieser Opfer niemals untergehen! Möge ihr Leiden niemals verleugnet, verkümmert oder vergessen werden!“ In seinem dreibändigen Buch über „Jesus von Nazareth“ schrieb er eine klare Absage an das immer noch geläufige Vorurteil und betonte, dass Juden keine Schuld an der Kreuzigung von Jesus haben. Dies verstand der Jüdische Weltkongress als ein wichtiges Signal gegen den kirchlichen Antijudaismus. Der Dialog zwischen der jüdischen Gemeinschaft und dem Vatikan wurde wieder aufgenommen und weiter geführt.
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