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Als 1942 Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ in den USA erschien, erreichte sie ein Millionenpublikum, die sie damit über die Verbrechen im NS-Deutschland informierte. Über 20 Millionen Menschen hatten Ende der 40er Jahre bereits das Buch gelesen, dessen frühe Auflagen alle in Englisch gedruckt worden waren.
Der ebenfalls frühe, vor allem für junge Leser geschriebene Roman über den Holocaust „Emil und Karl“ von Yankev Glatshteyn ist weitestgehend unbekannt. Leider, denn es ist ein großartiges Werk über Unmenschlichkeit aus Raffgier und Intoleranz aber auch über Hilfsbereitschaft und den Mut trotz aller Gefahren, sich der NS-Diktatur entgegenzustellen. 1940 erschien der Jugendroman ebenfalls in den USA, allerdings nur in jiddischer Sprache. So hatte das Jugendbuch nur eine beschränkte Anzahl von Lesern. Erst jetzt wurde dieser frühe Klassiker der Holocaust-Romane von Niki Graca und Esther Alexander-Ihme ins Deutsche übersetzt und erschien im Berliner Verlag „Die Andere Bibliothek“.
Der seit 1914 in New York lebende Schriftsteller Yankev Glatshteyn engagierte sich vor allem für eine Wiederbelebung der jiddischen Sprache, in der er auch seine Dichtung schrieb. In „Emil und Karl“, schildert er das Schicksal von zwei 9-jährigen Jungen. Als die Nationalsozialisten Österreich annektierten, wurde die Mutter von Karl verhaftet und Karls Vater, der Sozialist war, vor den Augen seiner Familie erschlagen. Der Vater von Emil wurde ermordet weil er jüdisch war, die Mutter abgeholt und deportiert. Dem kleinen Emil gelang es sich zu verstecken. Im Hausflur treffen sich die beiden Schulfreunde wieder, beide nun auf sich allein gestellt. Entsetzt erleben sie, wie die Nachbarn ohne Skrupel sofort die Wohnungen der von der SA abgeholten ehemaligen jüdischen Mietern plündern, den Pelzmantel der Mutter, Anzüge des Vaters und andere Kleidungsstücke stehlen. Die Jungs verstecken sich und treffen dabei auch auf einige wenige anständige Menschen, auf den „blonden Hans, der ein Widerstandskämpfer ist, oder Mathilde, die den Mut hat, ihnen und anderen Juden zu helfen. Sie erleben gefühlskalte, apathische Menschen, denen das Schicksal der Kinder gleichgültig ist und viele Mitläufer, treffen aber auch Helfer, wie den Hausmeister, der ihnen trotz seiner großen Angst in ihrem Kellerversteck heimlich etwas zu Essen bringt. Ein SA-Mann greift sie auf der Straße auf und zwingt sie, gemeinsam mit anderen Juden die Straße mit den bloßen Händen zu schrubben. Emil und Karl können fliehen. Mutigen Frauen gelingt schließlich, für die beiden Kinder einen Platz in einem Kindertransport zu organisieren. Als der Bus zum Bahnhof losfährt, stehen Männer und Frauen Spalier. „Dreckige Juden nach Palästina“ schreien sie, Jugendliche werfen mit Steinen. Doch die beiden Freunde dürfen nicht gemeinsam nach England. Wir sehen uns wieder, hoffen sie. Karl bleibt zurück, sein Schicksal bleibt ungewiss. „Emil und Karl“ ist ein großartiges Buch, spannend geschrieben, für Kinder wie für Erwachsene. Ein Buch über eine finstere Zeit und Menschen, die ihre Menschlichkeit trotz aller Lebensgefahr nicht verlieren.
Yankev Glatshteyn, „Emil und Karl“, Verlag „Die Andere Bibliothek“, 152 Seiten, Preis: 18,00 € (Deutschland) 18,50 € (Österreich), Schweiz: keine Buchpreisbindung
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