Endlich haben jüdische Kulturschaffende die Probleme der 3. Generation der Holocaust-Überlebenden als
Thema entdeckt. In der Literatur macht Channah Trzebiner mit ihrem autobiographischen Buch „Die Enkelin“ den Anfang. Der Zentralrat der Juden in Deutschland plant für die Zeit vom 14. bis 16. Mai
in Berlin ein großes Symposium über „A never ending story – Erinnerung und Traumata in der 3. Generation“ und in die Kinos kommt jetzt der Film „Schnee von gestern“.
Ein Brief kam aus Deutschland. Ein Cousin hatte geschrieben. Die Überraschung ist groß, glaubten sie doch, dass Großmutter Michla als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat. Nun stellt
sich heraus, dass auch ihr Bruder Feiv‘ke ebenfalls kein Opfer der Shoa geworden ist. Er lebte in Brandenburg und hatte eine deutsche Frau geheiratet. „Eine Deutsche?“ fragte die Großmutter und
schloss das Kapitel ihrer Familiengeschichte. Sie lehnte jeden weiteren Kontakt ab. In der Familie wurde darüber geschwiegen.
Auch als Enkelin Yael nach Berlin zog und sich dort sogar heimisch fühlte, hatte die Familie wenig Verständnis dafür. Ausgerechnet Deutschland! Doch statt darüber zu diskutieren, schweigen alle.
Fragen wurden in dieser Familie, wie in vielen anderen, nicht gestellt.
Jahre später steht Yael Reuveny am Grab der Großmutter. Da sie keine Antwort mehr bekommen kann, macht sie sich selber auf die Spurensuche. Auch ihr Onkel ist bereits verstorben und so spricht
sie mit den Nachbarn, ehemaligen Arbeitskollegen und allen die ihn kannten und findet schließlich seinen Sohn. Auch Onkel Feiv‘ke glaubte, der einzige Überlebende seiner Familie zu sein. Er
änderte seinen Namen in Peter Schwarz und begann ausgerechnet in der Nähe der ehemaligen Munitionsfabrik, wo er als Häftling des KZ-Buchenwalds schwerste Zwangsarbeit unter unmenschlichen
Bedingungen leisten musste, mit seiner nichtjüdischen Frau sesshaft zu werden. Dass er Jude ist, wusste fast keiner seiner neuen Freunde. Für sie war er ein Kommunist, den die Wirren des Krieges
aus Polen in den kleinen brandenburgischen Ort getrieben hatte und der bis zu seiner Pensionierung Verkaufsstellenleiter war. Sein Geheimnis kannte nur die Familie.
Behutsam erforscht Filmemacherin Yael Reuveny, die in Israel an der Sam-Spiegel-Filmakademie ausgebildet wurde, in dieser deutschen Produktion ihre eigene Familiengeschichte mit all ihren Brüchen
und nie vollständig aufgearbeiteten seelischen Verletzungen. Die Kamera begleitet sie bei jedem Schritt. Herausgekommen ist ein großartiger Dokumentarfilm. „Ich wollte keinen Film über den
Holocaust machen“, erzählt Yael Reuveny. Der Zuschauer fühlt fast hautnah wie jahrzehnte alte Barrieren aufbrechen. Am Ende des Films trifft Yael Stephan, den Enkel ihres Onkels. Der träumt
davon, in Jerusalem zu leben. Auch will er zum Judentum konvertieren. Die durch die Shoa getrennte Familie findet wieder zusammen.