Seit 450 Jahren lebt Familie Schuster in Unterfranken. Einzige Unterbrechung war in der NS-Zeit, in der es ihnen gelang, nach Israel zu emigrieren. In Haifa wurde Josef Schuster geboren. Nach dem Krieg kehrte die Familie nach Würzburg zurück, wo Vater David Schuster sich für den Aufbau einer neuen jüdischen Gemeinde einsetzte. Sein Sohn Josef wuchs in Würzburg auf, ging dort zur Schule, studierte und wurde Arzt. 1998 übernahm Dr. Josef Schuster das Amt des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Würzburg und führt seidem das Werk seines Vaters weiter. Seit 2002 ist er auch Vorsitzender des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und seit 2010 Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. In letzterer Funktion ist er vor allem für den Bereich Kultus zuständig. Jüdisches Europa sprach mit Ihm.
Herr Dr. Schuster, über 100.000 Juden und Jüdinnen sind in Deutschland Mitglieder einer jüdischen Gemeinde. Streitigkeiten untereinander oder zwischen einzelnen Gemeindemitgliedern mit der Gemeinde oder die Erteilung eines Get bei Ehescheidungen gibt es hier wie überall auf der Welt. Auch muss desöfteren entschieden werden, ob einzelne Personen, vorwiegend sind es Neuankömmlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, halachisch anerkannte Juden sind. Wie viele Bathei Din benötigen wir gegenwärtig für die religiöse Rechtsprechung?
Unter dem Dach des Zentralrates der Juden in Deutschland gibt es das Beth Din der ORD und das der ARK. Im Jahr 2004 gründete die ORD, die „Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland“, ein zentrales Beth Din, das sehr gute Arbeit leistet.
In keiner Gemeinde amtierte bislang ein Dajan. Das Beth Din setzt sich allerdings nicht nur aus Dajanim zusammen, sondern eben auch aus einem Rabbiner, der Mitglied der ORD ist und in einer orthodoxen Gemeinde amtiert. Die beiden anderen kommen aus Israel.
Wodurch die Zusammenarbeit mit dem Oberrabbinat in Israel gewährleistet ist und die Schiedssprüche, zu denen auch Giurim, Übertritte zum Judentum, gehören, überall anerkannt sind. Auch die ARK, die „Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschlands“ hat ein eigenes Beth Din ins Leben gerufen, deren Beschlüsse innerhalb der liberalen jüdischen Welt ebenfalls überall gültig sind. Und dann existiert in Frankfurt am Main unter der Ägide von Rabbiner Klein seit mehreren Jahren ein weiteres Beth Din, von dessen Notwendigkeit ich in Kenntnis der beiden anderen nicht überzeugt bin.
Kürzlich hat Chabad Lubawitsch in Berlin ebenfalls ein neues Beth Din ins Leben gerufen, das zu einigen Irritationen führte.
Das Beth Din der Orthodoxen Rabbinerkonferenz hat eine langjährige Erfahrung und es ist für mich nicht eindeutig erkennbar, weshalb wir ein weiteres benötigen. Dennoch gab es Gespräche zwischen dem Zentralrat der Juden und Chabad Deutschland, das durch die Rabbiner Diskin aus München, Teichtal aus Berlin und Chitrik aus Nürnberg vertreten ist. Der Zentralrat ist an einem guten Verhältnis zu Chabad interessiert und zur Kooperation bereit. Dennoch sollte das neue Rabbinatsgericht klar und deutlich als ein Beth Din von Chabad erkennbar sein und nicht unter einer Fahne segeln, die sein wahres Gesicht verbirgt.
Inwieweit ist der Zentralrat der Juden in Deutschland an der Arbeit der verschiedenen Bathei Din beteiligt?
Die ORD und die ARK befinden sich unter dem Dach des Zentralrates und werden von uns finanziell unterstützt. Doch sind sie autonom. Wir mischen uns nicht in ihre Arbeit ein, zu der auch deren Rechtsprechung gehört. Dazu haben wir nicht das politische, insbesondere aber religiöse Mandat.
Vor einigen Jahren versuchte der Zentralrat gemeinsam mit der ORD ein Pilotprojekt ins Leben zu rufen, das den Übertritt zum Judentum für Söhne und Töchter jüdischer Väter erleichtert. „Jüdisches Europa“ hatte damals darüber berichtet.
Vorbild für das Programm war der Giur bei der israelischen Armee. Doch konnte das dortige Vorgehen nicht auf die Situation hier bei uns übertragen werden und das Projekt scheiterte.
Ein Giur bei einem liberalen Beth Din ist wesentlich leichter als bei einem orthodox ausgerichteten. Innerhalb der jüdischen Welt werden die Übertritte bei Rabbinern der liberalen Richtung jedoch meist von orthodoxen Rabbinern nicht anerkannt und die Konvertiten wie Fremdlinge behandelt, die nicht dazu gehören.
Der Zentralrat gibt eine Empfehlung, dass bei einem Umzug in eine Stadt, in der nur eine religiös orthodox ausgerichtetete Gemeinde existiert, auch Konvertiten, deren Giur von einem liberalen Beth Din anerkannt wurde, auch in der neuen Gemeinde als Gemeindemitglied aufgenommen werden. Ob sie jedoch vom örtlichen orthodoxen Rabbiner einen Aufruf zur Tora erhalten, bleibt ihm überlassen.
Kann jemand in einer Stadt, in der es nur eine nach orthodoxem Ritus ausgerichtete Gemeinde gibt, bei einem Rabbiner übertreten, der nicht bei dieser Gemeinde arbeitet?
Eigentlich nicht. Denn zum Übertritt gehört auch der Nachweis eines jüdischen Lebensstils und das ist nur möglich wenn der- oder diejenige regelmäßig die Synagoge besucht und die Kaschrut einhält, was überprüft wird. Bei einem Wohnungswechsel entsteht eine Situation, in der diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.